Nur das Bild

Małgorzata Czyńska Von Małgorzata Czyńska



Diesmal weder Städte noch Städtchen, weder große noch kleine Landschaften, weder Menschen noch Männchen, sondern die reinste, furiose, von allen Regenbogenfarben triefende Abstraktion. So ist die neueste Ausstellung der großformatigen Bildern von Edward Dwurnik.

Edward Dwurnik

Ohne Inhalt, Erzählung, Kommentar, Darstellung der Wirklichkeit. Ohne Satire, ohne auch nur geringste ironische Augenzwinkern. Ohne Märtyrologie, Politik, gesellschaftliche Raufereien. Ohne Sigismundssäule, Marienkirche, Tuchhallen, Gomułka, Gierek, Sierakowski. Ohne Nashörner, Giraffen, vollbusige Frauen und Typen mit groben Gesichtern und schwieligen Händen. Also: ohne Thema und Motiv. Nur Vibration von Farben, nur Textur, bestehend aus mehreren Farbschichten - breiten oder dünnen Klecksen, Spritzern, Strahlen, dünnen Spinnfäden, die sich die Fläche des Bildes aneignen. So ein Dwurnik ist für viele immer noch eine Überraschung. Und doch malt er abstrakte Bilder seit über 10 Jahren, mehr noch - er behauptet, seine Malerei habe vom Anfang an, seit seinen ersten Veduten, das Abstrakte beinhaltet.

Edward Dwurnik Edward Dwurnik Edward Dwurnik

Es begann Mitte 60er mit dem berühmten Zyklus "Reisen per Anhalter", einer Serie, die Dwurnik bis heute fortsetzt und die längst in die Geschichte der polnischen Malerei einging. In der Regel schließt er solche Zyklen ab: die Serien thematischer Bilder fasst er in einer großen Komposition zusammen. Das Malen von Städten und Städtchen ist aber seine Never ending story, die Arbeit daran macht ihm immer Spaß, weshalb er auf die Veduten nicht verzichtet. Ein anderer von ihm weitergeführter Zyklus ist "Warschau". Die städtischen Landschaften werden im Stil von Nikifor gemalt. Dabei sollte man nicht vergessen, dass die Begegnung mit der Kunst des Malers aus Krynica, die Begeisterung über dessen Art, die Welt zu sehen und zu bebildern, Dwurnik noch während seines Studiums seinen eigenen Weg und Möglichkeiten formeller Lösungen zeigten. "Es stimmt, ich habe damals versucht, ein wenig wie Nikifor zu malen. Aber das war nur ein versteckter Anlauf in die eigene Richtung", sagt er.

Edward Dwurnik Edward Dwurnik Edward Dwurnik Edward Dwurnik

Die reine Architektur begann Dwurnik allmählich zu bevölkern, führte ins Bild Menschen und Tiere, Szenen aus dem Leben des damaligen Polens, also die Realität ein - zum Beispiel in den Zyklen "Sportler", "Arbeiter", "Der Weg nach Osten", "Von Dezember bis Juni". Er überträgt aber in sein Werk keine Erzählung, keine Literatur: die Wirklichkeit wird nur aufgefangen, Situationen porträtiert. In seinen facettenreichen Arbeiten kann er nahtlos von Thema zu Thema übergehen, bewegt sich zwischen der Abstraktion und der historisch-kritischen Kunst. Alles hängt davon ab, worauf er zu gegebener Zeit seine Aufmerksamkeit richtet. Das Bild ist sein Blick, seine Wahrnehmung der Umwelt, sein Gedankensprung.

Edward Dwurnik Edward Dwurnik Edward Dwurnik Edward Dwurnik Edward Dwurnik

Um auf die Abstraktion und deren Anfänge bei Dwurnik zurückzukommen: man kann natürlich, wie der Künstler selbst andeutet, sich auf die ersten Bilder des Anhalter-Zyklus beziehen. „ (…) tatsächlich wollte ich immer abstrakte Bilder malen", sagte er 2005 im Interview für Anna Maria Potocka anlässlich der Ausstellung "Thanks to Jackson" im Krakauer Kunstbunker. "Übrigens sind meine ersten Bilder aus diesem Zyklus fast abstrakt: sehr präzise aufgebaut, ganz gleichmäßig gesättigt. Wenn ich jetzt die Abstraktionen sättige, wenn ich sie bespritze, Farbe auf sie gieße, kehre ich zu diesen ersten Bildern zurück. Aber heute ist es viel leichter, denn es gibt diese Spannung, diesen Druck nicht mehr, dass ich etwas erzählen, mich für die gerechte Sache einsetzen muss". Dwurnik behauptet auch, viele seiner Veduten, obwohl mit Gebäuden und Figuren gespickt, wären doch, in der Mikroskala betrachtet, abstrakt: Wirrwarr von Linien und Punkten, Action Painting.

Sein abstraktes Denken zeigte sich in den blauen Bildern aus den 90ern. Es sind fast 100 Werke, die das Meer darstellen. Sie wiesen noch die Balance zwischen der Realität und der gegenstandslosen Kunst auf, mit der Dominanz des Ersteren: Wasserflächen, schäumende Wellen, streifenförmige Komposition und um das Blau gebaute Koloristik, mit Akzenten von Weiß, Grün und Gelb. Das Motiv war erkennbar, lesbar - aber noch ein Schritt und alles würde wie ein abstraktes Zeichen wirken. So geht es in vielen Landschaften von Dwurnik vor - Flecken vom blauen Wasser und vom gelben Strand,  von blutroten Mohnblumen, Tulpen, Bäumen. Mal mehr organisch, mal mehr geometrisch. Aber die wirklich durchdachten, totalen Abstraktionen sind erst die Bilder aus dem Zyklus "XXV".

Dwurnik nähert sich manchen Motiven und Konzepten nur langsam an. So wie er über das Malen von Frauenakten sagt - dass man zuvor noch viel lernen, viel erleben musste - so behauptet er zum Thema Abstraktion, dass er erst mit der Zeit angefangen hat, deren Bedeutung zu verstehen. "Die Abstraktion ist sehr wichtig", sagt er. "Ich spüre es immer stärker. Sie ist die Krönung, die Befreiung der Malerei. Aber sie bedarf eines Impulses aus dem Leben, einer realen Umgebung".

Die Bilder aus dem Zyklus "XXV" sind teilweise durch die Malerei von Jackson Pollock inspiriert. Teilweise, denn Dwurnik hat von ihm die Arbeitsmethode übernommen - Malen durch Farbengießen auf die Leinwand. Jedoch war das, wie bei seinem früheren Vorbild Nikifor, nur "ein versteckter Anlauf in die eigene Richtung". Die Malerei von Pollock enthielt viel Tragik, viel Metaphysik, bei ihm spielt die Skala und alle Elemente seiner Arbeiten eine organische Rolle. Bei Dwurnik zählt dagegen mehr das Dekorative, die Zufriedenheit, das Vergnügen am Malen selbst. Oft übermalt er fertige Bilder, bearbeitet eigene und fremde Werke, behandelt sie wie Grundierungen. Unter den Farbstrahlen scheinen Städte, Galerien von Figuren durch. Diese Abstraktionen sind wie eine Farbexplosion, manchmal eine koloristische Kakophonie, obwohl es sich dort auch getönte, monochromatische Kompositionen finden. Wenn der Maler früher die Bedeutung der Farben, des Farbenspiels oft ignoriert hat, stimmt er sie jetzt aufeinander ab, freut sich an ihnen. Ein Teil der Arbeiten hat einen durchdachten ruhigen Rhythmus, in den anderen gibt es mehr Expression, Heftigkeit der Geste. Aber Dwurnik verliert nie die Kontrolle über den kreativen Prozess. Trotz der Bezüge auf Pollock meinen die Kritiker, dass es hier mehr um die Traditionen des europäischen Taschismus geht als um das amerikanische Action Painting. Eines ist sicher: Edward Dwurnik, vom Motiv befreit, ist ein durchaus glücklicher Künstler.

Er sagt, er strebe danach, "dass das Bild ein Geheimnis, einen Zauber, eine Magie entfaltet, dass es wirkt, einen Kontakt zulässt. All das sieht man in den Abstraktionen, denn sie funktionieren schon nur im Bereich der Eindrücke und Gefühle, geben keine Geschichten wieder, keine Erzählung, welche die Malerei auffrisst und auflöst. In den abstrakten Werken bleibt nur das Gemälde, das Bild".

Dwurniks großformatige abstrakte Kompositionen brauchen viel Raum, erst dann lassen sie sich sehen, begreifen, fühlen.



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