Der Vorwand Tango (Ich habe einen Freund getroffen)
Ich habe einen Freund getroffen
Krzysztof Kokoryn und Mateusz Pospieszalski wurden von Małgorzata Czyńska interviewt
Krzysztof Kokoryn: Der Tango ist das, was zwischen einem Tanzpaar auf der Tanzfläche für einige Minuten geschieht und darüber hinaus fortgesetzt werden kann. Ich bin kein Experte für die Tangogeschichte und hatte nie vor, sie zu malen. Für mich bedeutet der Tango Emotionen. Entweder trägt man sie, fühlt sie in sich oder nicht. Ähnlich wie die Melodien. Und es gibt Musiker, die nie einen Tango komponiert haben, aber in sich seine Kraft tragen. Sofort denke ich an Mateusz Pospieszalski. Seit Jahren arbeiten wir an Musikvideos und Animationsfilmen zusammen. Wir passen die Musik dem Bild an und umgekehrt. In der Musik von Mateusz gibt es die Kraft des Tangos: die Melodik, eine gewisse Rauheit, das Tänzerische und das Nostalgische. In der Musik verwendet er Farben, die für den Tango charakteristisch sind. Er schreibt keine Tangos, er hat den Tango in sich. Das passt mir gut.
Mateusz Pospieszalski: Jeder Musiker weiß, was ein Tango ist, weil es schwer wäre, es nicht zu wissen. Ich muss keine Tangos komponieren, um sie zu fühlen. Den Tango in reiner Form überlasse ich denjenigen, die ihn spielen. Aber einige seiner Elemente dringen in andere Musikgenres ein. Wenn wir über den Tango sprechen, sprechen wir über Gefühle, über Erwartung. Der Tango ist ein Cliffhänger, die Einatmenphase, er befindet sich ein Meter über dem Boden, erklingt in der Stille. Das bedeutet, dass er in der Pause im Tanz und in der Pause in der Musik spielt. Das bedeutet, dass diese Emotion konstant auf einem hohen Niveau bleibt. Ein Magenkrampf. Einatmen, einatmen, einatmen. Und wir holen noch mehr Luft ein, indem wir etwas weiter aufbauen, bis zum Verderben. Auf der Bühne ist dieser Zustand der Suspense vom unschätzbarem Wert, einzigartig. Das wirkt auf die Musiker und auf das Publikum. Zu einem gewissen Zeitpunkt wird die Stille so stark, dass man sich sehr gut überlegen muss, wie der nächste Ton sein sollte, denn die Pause klingt wie eine gespannte Saite. Und so ist eben der Tango, so wirkt er, baut die Spannung auf und hält sie aufrecht. So fühle ich es. Mit meinen Musikerkollegen sagen wir immer, dass es auf der Bühne während der Konzerte Momente gibt, wo es scheint, dass die Welt untergeht - Du weißt bereits, dass Du hoch über dem Boden bist oder auf den Kopf fällst. Unwichtig. Was zählt, ist dieser Moment, das, was genau passiert, die Erfahrung des Augenblicks, das Gefühl der Spannung.
KK: Wenn ein Tango, dann immer Tom Waits. Sein Tango Till They're Sore ist für mich ein echter Adrenalinstoß. „Nun spiel diese Tarantella und alle Hunde beginnen zu heulen“... Und dann Tanz, Trunkenheit, ein Moment der Liebe - „ich werde Dir alle meine Geheimnisse erzählen, aber über meine Vergangenheit werde ich lügen“ - Verzweiflung und Euphorie, Hingabe im Wahn. Bis ins Verderben, in die Zerstörung. „Lass mich aus dem Fenster fallen, mit Konfetti im Haar“ ...
KK: Bei dem Ergründen des Themas für diese Bilder fing ich an, die Wurzeln des Tangos zu erforschen, ich laß Texte, sah im Internet Dutzende, Hunderte von Fotos, Filmen, Konzertberichten. Es war eine Sackgasse, weil daraus nur platte Illustrationen kommen konnten, ein künstlerisches Äquivalent eines Archivfotos. Und mir geht es nicht darum. Es ist unwichtig, ob der Musiker auf meinem Bild das gleiche Instrument hat wie auf dem Foto aus einem Club in Argentinien. Irrelevant, ob die Dame auf meinem Bild den richtigen Absatz am Schuh hat und der Herr das richtige, zeitgemäße Hutmodell. Es geht hier nicht um die Wahrheit des Details, sondern um die Atmosphäre und Leidenschaft. Sie spielen in Selbstvergessenheit, sie tanzen in Selbstvergessenheit.
KK: Meine erste Milonga besuchte ich vor über zehn Jahren, ganz zufällig. In Warszawa, in der Nähe des Kinos Muranów gab es früher ein Kasino für die Miliz. So hat der Ort den Spitznamen „Klub zu den Schlagstöcken.“ Und dort, jede Woche, fand eine Milonga statt. Für mich ist es eine Art tänzerische Jam-Session. Es kamen viele Enthusiasten dorthin - einige konnten bereits tanzen, die anderen lernten erst, zu tanzen versuchten. Ein DJ spielte Musik. Ich sah nur zu. Es war ein wunderbares Abenteuer. Denn schau mal nur: er weiß nicht und sie weiß nicht, sie kennen einander nicht. Er kommt auf sie zu, ist ein wenig zu groß und sie winzig, und sie werden miteinander tanzen, mit sich selbst Figuren zeichnen, sich umeinander wickeln. Oder: eine propere, reife Dame, voller Energie. Und ein Herr, in sich geschlossen, wie ein Holzklotz. Sein Schnurrbart ist wie die Zeiger einer alten Uhr und er selbst ist ganz wie eine alte Uhr - tick-tack, tick-tack. Sie tanzen. Sie öffnet ihm schon die Welt und er - tick-tack, tick-tack. Unwichtig, dass ihre Aktionen auf dem Parkett vom klassischen Tango weit entfernt sind, dass sie mit einem Tango überhaupt wenig zu tun haben. Der Tango ist nur ein Vorwand für die Begegnung.
Im Film Der letzte Tango erzählt Wim Wenders über die besten Tangotänzer der Welt, Maria Nieves und Juan Carlos Copes, heute beide über 80 Jahre alt. Sie sagt: „Ich habe mich in ihn verliebt, das ist alles. Das Tanzen interessierte mich nicht so sehr wie er. Aber wir haben getanzt, so. Verstehst Du? Miteinander".
MP: Weißt Du, dass Der letzte Sonntag, ein Schlager aus der Vorkriegszeit, als Selbstmord-Tango bekannt wurde? Denn der Text von Friedwald ist düster, die Musik von Petersburski melancholisch, die Atmosphäre so, dass einem gleich die Tränen kommen. Man erzählt, dass wenn ein Offizier bat, ihm dieses Lied zu spielen, bedeutete es, dass er sich am Schluss in den Kopf schiesst. Meiner Meinung nach hat Jerzy Petersburski hier eine der schönsten Melodien in der Geschichte der polnischen Lieder komponiert. Ganze Generationen trugen diesen Tango in sich.
KK: Man muss nicht nach Buenos Aires reisen, um den Tango zu fühlen. Ich verbinde ihn mit den 70ern und mit Hauspartys. Mit dem Fischgrät-Parkettboden und mit Spuren der Sektkorken an der Decke. In jeder Wohnung gab es an der Decke Vertiefungen von diesen Schüssen zum Silvester. Der Gramophon spielt, die Herren haben ihre Jacken bereits abgelegt und ihre Krawatten gelockert, die Absätze der Damen hinterlassen Spuren im Parkett. Das Horizont des Parketts auf den Bildern kommt aus diesen Erinnerungen.
KK: Einen Tango kann man spielen, singen und malen so verschieden, dass die orthodoxe Einhaltung klassischer Schemen wenig Sinn hat. Es ist aber gut, eine Plattform zu haben, von der man abspringen kann. Vor kurzem sah ich Penélope Cruz in Almodóvars Film Volver den titelgebenden Tango singen. Eigentlich ist die Interpretin Estrella Morente und Penélope nur das Filmgesicht. Aber egal, wer singt. Hauptsache, es ist schön. Diese Interpretation stimmt mit der Stilistik des Tangos im Allgemeinen nicht ganz überein. Volver in Morentes/Cruz' Mund klingt eher zigeunerhaft, wie ein Flamenco:
Zu fühlen
dass das Leben ein Hauch ist
dass zwanzig Jahre nichts sind
dass der fiebrige Blick
Dich sucht und Dich ruft
Zu leben
mit einer verwundeten Seele
Bei der süßen Erinnerung
weine ich wieder ...