Architektur der Utopie

Katarzyna Rzehak Von Katarzyna Rzehak



Jahrtausendschule und Supermarkt

Maja Kiesner ist im Warschauer Stadtteil Targówek großgeworden, in einem zwölfstöckigen Häuserblock. Aus dem Fenster ihrer Wohnung im zweiten Stock sah sie den nächsten zwölfstöckigen Häuserblock. Ihre Kindheit war der Teppichklopfer, an dem sie immer die Beste war, weil sie im Bezirkssportklub Targówek akrobatische Gymnastik trainierte. Die Schule: natürlich eine zur Jahrtausendfeier gebaute, der Laden: natürlich ein SB-Markt aus Blech.

Maria Kiesner

Schornsteine sind Denkmäler

Sie malt nach alten Postkarten, Fotos, Architekturalben. Angefangen hat es mit drei Blättern, die ihr ein Junge aus dem Antiquariat in Stalowa-Strasse geschenkt hat. Zwei zeigten Fabrikbauten vom Anfang des 20. Jahrhunderts, auf einer waren Hochspannungsmaste. Sie hat sie sofort gemalt. Wie ist das möglich, daß eine Industrielandschaft im 19. Jahrhundert als schön galt, als würdig, auf einer Postkarte verewigt zu werden? Die industrielle Revolution gab den Menschen einen utopischen Glauben an die eigene Kraft, Herrschaft über die Welt. Das Fabrikgebäude aus dem 19. Jahrhundert, Hochöfen, Schornsteine sind nicht nur eine Geschichte der Technik, sonder auch Denkmäler der Utopie.

Manifest des Futurismus

Besingen werden wir die gefräßigen Bahnhöfe, die rauchende Schlangen verzehren; die Fabriken, die mit ihren sich hochwindenden Rauchfäden an den Wolken hängen; die Brücken, die wie gigantische Athleten Flüsse überspannen.

Marinetti, Manifest des Futurismus, 1. Dezember 1908 (Fragment)

Maria Kiesner

Le Corbusier und der Ingenieur Karwowski

Die Utopie in der Architektur hat Maja selber erfahren. Aufgewachsen ist sie in einer Corbusierschen „Maschine zum Wohnen” (machine a habiter), einem sozialistischen Plattenbau, der alle Bedürfnisse des Menschen befriedigen sollte. Standardisierung, Präfabrikation, labormäßige Zweckdienlichkeit und Sparsamkeit, also Corbusiers Ideale, in die polnische Wirklichkeit vom Ingenieur Karwowski* übertragen, bedeuteten für sie Langeweile, Monotonie, Starre oder sogar Unterdrückung.

Fabriken aus dem Pleinair

Im letzten Sommer wurde Maja zu einem zweiwöchigen Pleinair nach Pieńków eingeladen. Ein alter Herrenhof, Felder, Wälder, ein See. Der Veranstalter des Pleinairs, ein polnischer Arzt aus den USA, ein Mäzen der polnischen Kunst, der sich für die polnische Landschaft begeisterte, stattete jeden der eingeladenen Künstler mit einer Schachtel Farben, einigen Blendrahmen verschiedener Größe und einer Staffelei aus. Maja hat in Pieńków acht Landschaften gemalt. Alle nach den Postkarten. Sie stellen Stahlhütten aus dem 19. Jahrhundert im Industriekreis Sosnowitz-Tschenstochau dar.

Maria Kiesner

Die Schönheit Polens

Majas neue Entdeckungen: Bücher. Darin findet sie Fotos, nach denen sie dann ihre Bilder malt. Das Album „Posen”, herausgegeben zum 20. Jahrestag der Volksrepublik Polen: schwarz-weiße Aufnahmen von neuen Wohnsiedlungen, Schwimmhallen, Schulen. Beschreibungen auf Polnisch und Russisch. Das Album unter dem Titel „Kalisch”, aus der Reihe „Die Schönheit Polens”, herausgegeben 1978. Danach hat sie bereits das Haus des Technikers in Kalisch gemalt. Das Album „Oppelner Schlesien”, herausgegeben 1980. Danach hat Maja bereits zwei Versionen des Jan-Kochanowski-Theaters am Leninplatz in Oppeln gemalt.

Maria Kiesner

Die Unwahrheit des englischen Gartens

Majas Bild unter dem Titel „Das Bassin in Puławy” sieht wie eine Aufnahme aus dem Film „Der Kontrakt des Zeichners” von Peter Greeneway aus: ein englischer Park mit einem kleinen flachen viereckigen Bassin (Springbrunnen?). Unregelmäßige Baumgruppen, ein sorgfältig gepflegter Rasen. Maja malte dieses Bild nach einem Foto, das ihre Freundin im Czartoryski-Park in Puławy gemacht hat. Ein englischer Park, also eine Gartenutopie. Angelegt in Polen von Izabela Czartoryska, einer gelehrten Frau aus dem 18. Jahrhundert. Versetzte Pflanzen, so zurechtgeschnitten, um noch natürlicher als in der Natur auszusehen. Die Künstlichkeit dieser Idealisierung sieht man auf dem Bild von Maja noch schärfer als in der Wirklichkeit.

Maria Kiesner

Ein bißchen Erde, viel Himmel

In ihren Landschaften benutzt Maja die Proportionen aus den holländischen Veduten vom 18. Jahrhundert: ein schmaler Streifen der Erde und des Gebäudes unten im Bild und dreimal soviel Himmel mit Wolken oben. Der Meister dieser Proportionen, Jacob Ruisdael, malte den Himmel, die Wolken und sie durchdringende Sonnenstrahlen so, daß jene zum eigentlichen Inhalt des Bildes wurden. Und Maja? Wenn ein Foto oder eine Postkarte zu viele Schornsteine hat, malt sie sie einfach nicht. Sie will viel Himmel haben, viel Platz für Wolken und Rauch. Und genauso wenig wie Ruisdael mag sie Farben: braune und graue Töne sowie Schwarz reichen ihr vollkommen aus.

Pompeji aus Pappe

Majas Architekturen wirken immer bedrohlich, obwohl sie eher wie Porträts von Atrappen oder Papphäusern als wirkliche Bauwerke aussehen. Vielleicht weil die Künstlerin sie nicht von der Natur malt? Meiner Meinung nach sind sie umso bedrohlicher, umso unwirklicher sie erscheinen. Unerträglich ist gerade ihre Leichtigkeit, die papierne Trockenheit der Atrappen, in der wir nicht mal Spuren von Leben erwarten. Pompeji des 21. Jahrhunderts?



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