Nackte Versunkenheit
Wir reden über eine unverschämt junge Malerin. Talent und Jugend sind in der Kunst immer eine beunruhigende Kombination. Wenn man den jungen Künstler zu sehr umschwärmt, kann das für ihn gefährlich sein. So lautet die allgemeine Meinung und allgemeine Meinungen stimmen oft. Sollte ich mich trauen, über diese Malerei zu schreiben, so geschieht das nur, weil Aleksandra Waliszewska resistent ist – sowohl gegen Lob als auch gegen Tadel. In dieser überraschend reifen Kunst spürt man Kraft und Willen, die sagen; „Sie weiß, was sie will, und wird ihren eigenen Weg gehen.“ Diese Eigensinnigkeit ist in ihren Bildern und Zeichnungen präsent.
Waliszewskas Kunst besitzt eine Kumulationskraft - das Bild richtet sich immer nach seiner Mitte. Vielleicht deswegen eröffnen die Fenster ihrer Welt nicht allzu große Räume. Gelegentlich werden sie zu einem kleinen Bild im Bild. Obwohl wir die Präsenz der Wände in der Nähe spüren, fühlen wir uns nicht eingeengt. Ich entdecke in dieser Malerei Widersprüche: Schließen und Öffnen, Angst und Mut, Scheu und Entschlossenheit und ein gewisses Schuldgefühl der Welt gegenüber. Die Augen auf den Porträts sind mal erkennbar, mal sind sie zu unklaren Schlitzen reduziert, durch die uns jemand beobachtet. Ebenso die Lippen, die oft halbgeöffnet sind. Ein Auge wirkt matt, unsicher und ist halbgeschlossen. So scheint ein Teil des Gesichtes verformt zu sein. Das menschliche Gesicht ist ein zerbrechliches Geschirr und wenn es verformt wird, wirkt das beunruhigend. Diese Beunruhigung ist aber kontrolliert und ein Markenzeichen dieser Malerei.
Ich habe schon die Versunkenheit erwähnt. Sie wird durch die kleinen Formate der Werke betont. Als ob Waliszewskas Vergrößerungsglas die Sachen nur begrenzt umfassen könnte: Das menschliche Insekt, weder schön noch hässlich, einfach da. Es ist kein Zufall, dass diese kleinen Bilder auf Fotos größer wirken. Vermutlich wegen ihres Gefühls für Proportionen und ihres Mutes, große Elemente mit kleineren zusammenzusetzen.
Waliszewska malt viele Selbstporträts, darunter zahlreiche Akte: ein dankbares Thema für psychologische Erwägungen. Aber diese Spur kann irreführend sein. Vielleicht malt die Künstlerin sich selbst, weil niemand anderes vorhanden ist? Eins steht fest: Die Künstlerin interessiert sich für die Nacktheit, was mit der Maltradition übereinstimmt. In den Aktbildern ihrer selbst spürt man eine Verwunderung: Bin ich das wirklich? Diese junge Frau, die durch einen merkwürdigen Zufall mit einem Körper ausgestattet ist? Die Künstlerin tut, als ob sie es nicht wüsste, dass dieser Körper Männer interessieren könnte und dass dies wiederum sie interessierte. Obwohl jung und schön, liebäugelt sie nicht damit, sie scheint gnadenlos zu sich selbst zu sein, sie macht sich hässlicher, statt sich zu verschönern. Sie staunt über sich selbst, ihr Gesicht, ihre Nacktheit. Es ist bewundernswert, wie eine so junge Künstlerin die subtile Materie und die Farben des Körpers darstellt. Ihre Nacktheit aber ist asexuell. Der Körper einer schönen, jungen Frau illustriert nur das menschliche Schicksal mit der zivilisierten Höhle, unserer Wohnung, im Hintergrund.
Das Tierische am Menschen wird mal versteckt, mal hervorgehoben. Sogar die Sanftmut wird mit Raubgier unterfüttert. Auf einem Bild ist die Künstlerin direkt in die Finsternis unserer Höhle gegangen. Sie malte ihr tierisches Ebenbild, eine tiermenschliche Gestalt im Dunkeln, auf allen vieren, mit einer ausgestreckten Tatzenhand.
Ein nackter Mensch entblößt die Kleidung des Raumes. Ein Zimmer mit lieblos und eilig dargestellten Details. Wie ein flüchtiger Blick. Wenn die Künstlerin sich selbst malt, scheint sie philosophisch zu sagen: „Ich bin jemand anderes.“ Das bedeutet, ich bin ein Rätsel für mich selbst und für andere. Der Mensch auf diesen Bildern ist immer allein mit sich selbst. Die große Einsamkeit, zu der wir vom Schicksal verurteilt sind. Das bewusste oder intuitive Wissen über diese große, endgültige Einsamkeit des Menschen spürt man in den Bildern. In vielen Selbstporträts spüre ich eine Angst, paradoxerweise in Verbindung mit Mut. Mut ist aber verdrängte Angst – niemand ist mutig, wenn er keine Angst spürt. Diese Kunst fordert auf und schreit: „Ich lasse mich nicht unterkriegen.“
Waliszewskas Zeichnungen wirken etwas nachlässig, aber es ist eine scheinbare Sorglosigkeit eines Künstlers, der eine sichere Hand hat und weiß, dass das Unvollkommene interessanter ist als eine sorgfältige Vollendung. Einen Schriftsteller erkennt man oft man an einem Satz, einen Künstler an einer Linie. Waliszewska hat sowohl ihre eigene Linie als auch ihren eigenen Malraum. Die Nachlässigkeit ist nur scheinbar, wirklich ist die Sicherheit.
Czesław Miłosz schrieb über seine Unruhe: „Die Materie der Sprache löst sich von der Realität oft ab. Unsere Bemühungen, sie zusammenzukleben, sind meistens umsonst, aber – wir spüren das – absolut notwendig.“ Bei Waliszewskas Bildern fühle ich mich hilflos gegenüber der Realität, die sie von der Sprache getrennt hat. Ich versuche „absolut notwendig“, aber vergebens, die Wörter an ihr festzukleben.
Wenn man sich unsicher bei der Beschreibung von Kunst fühlt, kann man zu Analogien greifen. Wenn wir sie erwähnen möchten, dann überall da, wo bei Waliszewska Landschaften und größere Räume auftauchen. Dann erinnern wir uns an die metaphysische Malerei, zum Beispiel an die Bilder von de Chirico. Bei anderen Werken entdecken wir eine Bewunderung für Balthus. Ich erwähne diese Ähnlichkeiten nur der Vollständigkeit halber, am wichtigsten ist die Originalität der Künstlerin. Waliszewska hat ihre eigene Welt geschaffen, in der sich die große Tradition der realistischen Malerei mit der abstrakten trifft. Sie spricht sich für die erste aus, ist sich aber der Erfahrung der zweiten bewusst. Es ist ein Zeichen dafür, dass das Beste in der Malerei der jüngsten Generation zu seiner Quelle zurückkehrt, trotz der Meinungen der gegenwärtigen Kritiker.
Es kann sich in ein paar Jahren herausstellen, dass der Malerin die Welt, die sich in ihrem kleinen Taschenspiegel widerspiegelt, nicht mehr ausreicht und dass ihr die Kleinformate zu eng werden. Dass es außer Gesichtern, Körpern und einem kleinen Zimmer auch Felder, Himmel, Wälder und den Großstadtdschungel gibt. Es gibt ein paar Bilder, die beweisen, dass sie diese Welt sieht und mit dem Pinsel berührt. Zur Zeit jedoch ist es ihr lieber, dass der Pinsel die Rolle eines Details spielt, zum Beispiel auf jenem Bild, auf dem sie ihr Kinn auf ihn statt auf ihre Hand stützt – eine äußerst malerische Versunkenheit.
Waliszewska steht auf der Schwelle. Niemand weiß, ob sie nach vorne tritt oder sich in ihre heutige Stellung vertieft. Eins ist sicher – da sie malt, wie sie malt, kann sie nicht mehr zurück. Sie hat sich ihren Rückweg übermalt. Beide Möglichkeiten sind sowohl interessant als auch riskant, wie eine Reise, wie das Leben. Trotz kurzer Zeit hat Waliszewska ihre eigene Welt kreiert – geheimnisvoll und erkennbar. Kann man mehr von einer jungen Künstlerin verlangen?