Ursprung der Malerei

Agnieszka Wasieczko Von Agnieszka Wasieczko

Abstraktion ist die Essenz des Spirituellen. Die übermenschliche Kraft der Farben per se….

W. Kandinsky Blicke in die Vergangenheit (*)

Ich habe einmal von Bildern, die ich malen wollte, geträumt – Gemälden von Licht überflutet – erzählt Anna Podlewska. – ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie sie aussahen, eins war aber sicher – es erschienen mir Bilder, die nicht durch Struktur oder Form aufgebaut waren, sondern Licht.

Die Künstlerin selbst sagt, sie male ”kindisch einfache”, auf das Elementare reduzierte Bilder. Das Auge eines unaufmerksamen Zuschauers mag, nachdem es die glatten Oberflächen gemustert hat, nichts Interessantes finden und wird schnell gelangweilt. Die reinen Abbildungen der “Leere” sind aber nur scheinbar monochrom. Im Grunde ist diese Malerei, die die Beschaffenheit der Materie vorzieht, lebhaft, sogar leidenschaftlich. Sie regt die Sinne an und spiegelt die Lust an der Kreation wider.

Anna Podlewska

Die Darstellung von Licht

Jeder großer Schöpfer träumt davon, von Licht mit Farben und Struktur zu erzählen. Seit jeher waren Künstler von der strahlenden Natur des Lichtes überzeugt. Podlewska erschreckt die blanke Leere und der Augenblick, als das Bild noch “tot” ist. Sie ist Meisterin der Synthese, obwohl vom rigorosen minimal-art weit entfernt. Gerne erzählt sie von der “Transportation” (Übertragung) des Lichtes. Ein Bild kann nicht neutral sein, es muss Licht ausstrahlen, den Blick fangen.

Wie stellt die Künstlerin die Natur des Lichtes dar? Infolge einer intuitiven Suche hat sie ihre eigene, einzigartige Technik entwickelt. Sie trägt bis zu 30 Schichten Farbe auf die Leinwand auf, damit die Pigmente nach oben “migrieren” und somit das spezifische, intuitiv wahrnehmbare Licht erzeugen. Die Bildfläche bekommt Schwere, eine Glanz, ein flimmerndes Leuchten, sie scheint zu vibrieren. Die Künstlerin arbeitet so lange, bis sie die Lebhaftigkeit der Materie, ihr Pulsieren, erreicht. Lieblingsformen und Motive malt sie mit dünnen, transparenten Schichten aufeinander, um den Farbton der Flecken zu vertiefen. Sie mattiert sie sorgfältig mit Wachs. Die außergewöhnliche Leuchtkraft, die normalerweise bei Lasierungen vorkommt, resultiert aus der Malmethode - jenen präzisen, langsamen, fast meditativen Art, die Farbe mit waagerechten Pinselstrichen aufzutragen. Diese Maltechnik vereinigt die Bildfläche und entscheidet über die Einheit der Komposition. Das unsichtbare Licht deutet auf eine innere Spannung.

Anna Podlewska

Die Verheimlichung des Sichtbaren

Podlewska sieht die Welt durch Farben, aber es wäre ein Irrtum, sie als Koloristin zu bezeichnen. Der akademische Kolorismus, die Suche nach den bestmöglichen Maleffekten, die Erklärung physikalischer Prozesse, das alles interessiert sie nicht. Gewöhnlich malt sie Ölbilder die großformatig und frei von Details sind. Sie verleiht ihnen besondere Farbtönungen: indisches Rosa, verschiedene Nuancen vom Weiß, Türkis und eiskaltem Blau. Bei der Farbauswahl hört sie auf ihre Intuition und ihre Wahrnehmung der Umgebung. Mit der Farbe beschreibt sie Stimmungen und Geisteszustände. In ihren Bildern verbirgt sich ein „Gefühls-Alphabet.“ Die aufgehellten Farben sind nicht aggressiv, sie strahlen Freude, Mutterglück, Liebe und Zärtlichkeit aus.

Bei der Betrachtung der sanften Färbung ihrer Bilder fällt es schwer, die Inspirationsquelle zu erraten. Ein Bild kann wegen eines Blütenblattes oder einer Puderdose anfangen. Was für eine Aura hat Milchkaffee? Jedes Detail aus der Umgebung kann ein Bild inspirieren. Zurzeit sammelt die Künstlerin Schmetterlinge. Vielleicht werden ihre regenbogenartigen Flügel Mal in ihren Bildern auftauchen.

Podlewska erreicht in ihren Werken das, was der französische Philosoph Maurice Merleau-Ponty als „Verheimlichung des Sichtbaren“ bezeichnete. In seinem Essay über die Malerei aus dem Jahre 1960 „ das Auge und der Geist“ schrieb er: „ (...) dass sich das Sehen aus der Mitte der Dinge heraus vollzieht oder ereignet – da, wo ein Sichtbares sich anschickt zu sehen, wird es für sich selbst und durch das Sehen aller Dinge sichtbar, da, wo Empfindendes und Empfundenes unteilbar bestehen.“ (1) Von dem Maler wird verlangt, „die Mittel zu enthüllen, die nicht anders als sichtbar sind, durch die es unter unseren Blicken zum Gebirge wird. Licht, Beleuchtung, Schatten, Reflexe und Farbe, alle diese Gegenstände seines Forschens sind nicht im vollen Sinne wirkliche Wesen: Sie haben, gleich Phantomen, nur eine visuelle Existenz.“ (2)

Anna Podlewska

Die Leiblichkeit der Materie

Merleau-Ponty schrieb über den Maler, der sich mit dem „rohen Sinn“ befasst und dabei seinen „Körper,“ „Leib“ und „Fleisch“ engagiert. Anna Podlewskas von Licht überfluteten Werke sind bester Beweis für die „Leiblichkeit“ der Malerei. Sie bilden einen Ausgangspunkt für Erwägungen über die reine Malfläche. Die Künstlerin genießt einen langen Malprozess. Ihre Raffiniertheit und Eleganz entstehen infolge einer äußerst konsequenten Arbeit. Die Bilder ändern sich, da sie sich auch ändert. Sie müssen – ähnlich wie Wein – reifen. Es kommt vor, dass Podlewska an einem Bild sogar zwei Jahre arbeitet. Sie fühlt sich unwohl, wenn sie wenig Zeit hat. Die braucht sie, um das Werk ruhig zu betrachten, um Distanz zu gewinnen, um die Intuition einzuschalten. Während der Arbeit macht sie Pausen, legt das Bild zur Seite, kehrt zu ihm zurück. Manchmal übermalt sie es.

Als Ausgangspunkt dieser großformatigen Kompositionen dienen oft persönliche, subtile Zeichnungen und Aquarelle. Sie bilden eine Suche, malerische Skizzen der längst erdachten Linien, geometrischen Figuren und organischen Formen. Podlewska formt aus ihnen neue Kompositionen. Gewöhnlich fängt sie mit einem Modul an, meistens mit der rechteckigen Form des Bildes. Sie schätzt das geometrische Spiel, deshalb füllt sie die Bildfläche mit abstrakten Formen.

Die Künstlerin gibt zu, dass sie sich manchmal in der Welt der reinen Abstraktion, die nur in ihrer Vorstellung schwebt, verloren fühlt. Wassily Kandinsky schrieb in seinem Essay „Über das Geistige in der Kunst“: „Mit ausschließlich rein abstrakten Formen kann der Künstler heute nicht auskommen. Diese Formen sind ihm zu unpräzis. Sich auf ausschließlich Unpräzises beschränken, heißt sich der Möglichkeiten berauben, das rein Menschliche ausschließen und dadurch seine Ausdrucksmittel arm machen.“ (3) Bekannte Dinge und Formen verleihen der Künstlerin ein Gefühl der Sicherheit. Sie vereinfacht und geometrisiert Formen aus der Naturwelt. Aus der Landschaft nimmt sie die horizontale Linie, die den Himmel von der Erde trennt. In einer sanften Krümmung erkennen wir den Umriss eines Hügels. Wegen ihrer Harmonie scheinen die Leinwände mit der Landschaft zusammenzustimmen, die Bildfläche findet ihr Kontinuum im Raum. Kein Wunder: während einer Studentenausstellung in der Schweiz, zeigte Anna Podlewska ihre Bilder auf einer Alpenwiese. Heutzutage verbringt sie viel Zeit in ihrem Haus in der Nähe von Warschau, dessen große Fenster auf einen Birkenwald hinausgehen. Die Künstlerin will in ihren Werken keine Geschichten erzählen. Sie verleiht ihnen auch keine Titel und somit überlässt sie dem Betrachter die Interpretationsfreiheit.

Anna Podlewska

Die Magie der Symbole

Die Oberflächenstruktur von Podlewska Werke ist vollkommen glatt. Eine Ausnahme bilden ein Paar weiße Bilder. Auf ihren monochromatischen Oberflächen befinden sich Farbstreifen, die mit flachen Pinselbewegungen aufgetragen sind. Die Lagerungen sind erst dann sichtbar, wenn man die Leinwand unter einem Winkel betrachtet. Langsam erscheinen aus dem subtilen Relief der Materie geometrische Formen. Reine Formen oder doch auch Symbole? „Früher malte ich Bilder voller Symbole und Zeichen“ – sagt die Künstlerin – „ Diese Kreuze sind ihr Überrest.“

Während einer Reise nach Italien besuchte sie Tadeusz Koper in seinem Atelier in Carrara. Er zeigte ihr eine seiner abstrakten Skulpturen: Ein Stück Marmor mit einem runden Loch. Koper betrachtete dieses einfache Objekt als eins seiner persönlichsten Werke und meinte, dass jeder Mensch seinen eigenen Kreis hat. Oder einen Quadrat. Es gibt keine universelle Form, die den Künstlern vorbehalten ist. Anna Podlewska verleiht dem geometrischen Rhythmus den Symbolstatus. Sie malt die einfachen und queren Kreuze mit Farbstreifen zwischen Rosa und Weiß. Einteilungen und archaische Zeichen bestimmen die bemalte Oberfläche, sie verleihen ihr Rhythmus und bauen innere Spannungen.

Anna Podlewska

Der Boden der Zukunft

Anna Podlewska schätzt viele Maler des Lichts, keinen ahmt sie aber nach. Sie sucht ihren eigenen Weg. Bilder von Velasquez, Pierre Soulages entzücken sie, sie bewundert die detaillierten Bilderfragmente Balthus’. Nah steht ihr der amerikanische Abstraktmaler, Mark Rothko, der in seinen wunderbar farbharmonischen Bildern das beste Beispiel für die „Malerei der Materie“ lieferte. Er konstituierte eine neue, gewöhnlich unsichtbare Welt. Rothko verwendete die doppelte Aufzeichnung, beobachtete das im Farbfleck versteckte Dasein und wiederholte die Komposition bestimmter Vorbilder, zum Beispiel der Pietas und Kreuzigungen. Kritiker sahen in den Werken „Nummer 18 1948“ oder „Nummer 1 1949“ die Wiederholung von der “Huldigung der Drei Könige“ von Quentin Massys aus dem Jahre 1526.

Die geistige und harmonische Malerei Anna Podlewskas nähert sich der Metaphysik. Maurice Merleau-Ponty schrieb: (...) weil die erste aller Malereien bis auf den Grund der Zukunft reichte. Wenn keine Malerei die Malerei abschließt, wenn sogar kein Werk fertig wird, dann verändert, verwandelt, erhellt vertieft, bestätigt und erhöht jede Schöpfung alle anderen, erschafft sie wieder oder lässt sie im voraus entstehen. Wenn die Schöpfungen kein Besitz sind, der ein für allemal erworben ist, so nicht nur darum, weil sie wie alle Dinge vergänglich sind, sondern auch, weil sie fast ihr ganzes Leben noch vor sich haben. (4)


Anmerkungen

  • (*) Zitat aus dem Katalog zur Ausstellung „4 x Paris / Paris en quatre temps.“ Biuro Wystaw Artystycznych „Zachęta“, Warschau, 15. Oktober 1986 – 12. Januar 1987, Seite 152
  • 1. Maurice Merleau-Ponty „Das Auge und der Geist“, in: “Das Auge und der Geist. Philosophische Essays.“ Felix Meiner Verlag 2003, Seite 280
  • 2. wie oben, Seite 285
  • 3. Wassily Kandinsky, „Über das Geistige in der Kunst.“ Einführung von Max Bill, Benteli Verlag 1970, Seite 71
  • 4. Maurice Merleau-Ponty, wie oben, Seite 317


Ausgewählte Werke

alle bilder ansehen