Die rosa Wolke
Die rosa Wolke
Die Malerei von Beata Murawska ist so tief in der Tradition der Koloristen verwurzelt, schöpft daraus so viel, dass man dazu neigt, nach Analogien zu suchen, die Klassiker der Gattung zu zitieren.
“Ich bin eine Koloristin”, sagt die Künstlerin. Und diese einfache Definition sollte uns als ganze Erklärung reichen – wenn wir überhaupt ihre Malerei erklären wollen, die beim ersten Blick auf die Leinwand einfach mit der Farbe verführt.
Diese Bilder sind eine Vibration von Farben – stark, gesättigt, dynamisch, sind sie wie die Signatur der Künstlerin. Es handelt sich um die Signatur und die Darbietung der wahrsten künstlerischen Virtuosität. Alles ist erkennbar – Landschaft, Bäume, Blumen. Aber es geht ja nicht um das Kopieren der Natur. Nicht um die Wahrheit der Natur. Die Künstlerin, in erster Linie als “Tulpenmalerin” bekannt, kann ihr Lieblingsmotiv in der Tat unendlich benutzen. Aber “Tulpenmalerin” klingt irgendwie anspruchslos, setzt ihre Werke und ihr Talent herab.
Jedes Bild ist die Lösung von aufeinanderfolgenden koloristischen Fragen. Jedes Bild hat seine eigene Wahrheit, die auf Erlebnis basiert. Jedes Bild ist eher eine Anspielung auf die Realität, obwohl sie sich keineswegs so einfach konkret benennen lässt. Beata Murawska könnte nach Jan Cybis wiederholen: “Wir sollen nicht illustrieren, sondern ein Äquivalent schaffen, einen Gegenstand aus Farbe, der die Phantasie anspricht.” Also nicht nachahmen, sondern ausdrücken. Innerhalb der Grenzen des Bildes entsteht eine eigene Welt, die mit ihrer Schönheit beeindruckt. Beata Murawska kann das – sie erschafft schöne Welten. Für den Zuschauer bedeutet das ein Erlebnis, nicht nur eine oberflächliche Wahrnehmung.
Kein Wunder, dass Murawska sich durch die Malerei der deutschen Expressionisten angezogen fühlt und dass sie zur Zeit Emil Nolde für ihren Meister hält, der Sonnenuntergänge so malte, als ob er sie geschluckt hätte, als ob sie in seinem Inneren brennen würden. Erlebnis, wieder Erlebnis. Noch weniger Überlegung, denn die Malerei fließt hier wie eine Welle, durch einen Impuls getragen. Durch Farbe und Licht.
Nur Farbe. Sogar Farbe. Nur Landschaften und Blumen. Sogar Landschaften und Blumen. Einfach Malerei. Echt, ehrlich, sinnlich. Wir schauen auf die Bilder von Beata Murawska und im Hinterkopf hören wir die Worte einer anderen Klassikerin der Gattung, der Koloristin Hanna Rudzka-Cybisowa: “Die Kunst wird immer eine Kontemplation, denn sonst würde sie aufhören, das zu sein, was sie ist: eben Kontemplation”.
Die rosa Wolke
Ich bin eine Koloristin. Eine einfache Definition. Ich sehe die Farbe. Ich denke mit der Farbe und fühle mit der Farbe.
Jeden Tag lege ich die Farbtuben aus, gieße daraus Flüsse, Bäche, Seen. “Die Malerei trägt man in seiner Kassette”, schrieb Jan Cybis, ein Kolorist. “Die Farbe ist eine wunderbare Sache. Sie diktiert ihre Gesetze genauso wie die Natur, die man vor den Augen hat”. Ich drücke die Farben auf der Palette aus, die sich mit der Zeit aus einem flachen Brett zum versteinerten Farbklumpen verwandelt hat.
Frost, Winter
Frost, Winter. Heute ging ich nicht aus dem Haus. Ich blieb im Atelier, wo die Malerei geschieht. Manchmal habe ich den Eindruck, dies geschehe außerhalb von mir, und doch fühle ich bei jedem Bild (…)
Frost, Winter. Heute ging ich nicht aus dem Haus. Ich blieb im Atelier, wo die Malerei geschieht. Manchmal habe ich den Eindruck, dies geschehe außerhalb von mir, und doch fühle ich bei jedem Bild Aufregung, Liebe, Erwartung, was es bringt. Zweifel, Ermüdung, körperlicher Schmerz sind auch in der Kunst, in deren Betreiben enthalten. Ich muss nicht ins Freie gehen, um Landschaften zu malen. Auf der Leinwand lief der Weg durch den
Schnee.
Rosa Wolke
Rosa Wolke. Es gab sie oder auch nicht. Ich habe sie gesehen oder auch nicht. Auf dem Bild hing sie über der Welt wie ein Schirm. Sinnlicher Musselin, weicher Plüsch. Ich liebe rosa – es ist (…)
Rosa Wolke. Es gab sie oder auch nicht. Ich habe sie gesehen oder auch nicht. Auf dem Bild hing sie über der Welt wie ein Schirm. Sinnlicher Musselin, weicher Plüsch. Ich liebe rosa – es ist meine Farbe. Ich habe sogar rosa Boxhandschuhe.
Mit jedem Bild erkläre ich mir die Welt
Mit jedem Bild erkläre ich mir die Welt. Ich freue mich daran. Ich erlebe es. Ich bin keine Philosophin. Diesen Ehrgeiz habe ich nicht. Ich betrachte, erlebe, male. Das Bild wird manchmal zur (…)
Mit jedem Bild erkläre ich mir die Welt. Ich freue mich daran. Ich erlebe es. Ich bin keine Philosophin. Diesen Ehrgeiz habe ich nicht. Ich betrachte, erlebe, male. Das Bild wird manchmal zur Überraschung, verblüfft mich. Denn in Wirklichkeit war diese Landschaft anders und die Farben waren, glaube ich, nicht so intensiv. Oder vielleicht doch? Oder wurde all das möglicherweise durch meine Stimmung, meine Begeisterung, meine Sehnsucht, meine Wut gefiltert? Man muss wohl nicht darüber nachdenken, denn die Kunst hat ihre eigenen Gesetze. “Malen ist kein Produzieren, sondern Denken, es ist eine Frage der Einstellung”, behauptete die Malerin Hanna Rudzka-Cybisowa (schon wieder diese Koloristen!) “Die Natur ist immer gleich. In der Natur gibt es kein fertiges Bild. Ein Bild wird geschaffen.” Piotr Potworowski (natürlich ein Kolorist) sagte: “Das Bild entstand für den Menschen und nicht für die Landschaft, die sich im Bild wie in einem Spiegel nicht betrachten kann.”
Ich erreiche die Grenzen der Abstraktion
Ich erreiche die Grenzen der Abstraktion. Ich berühre sie und bleibe doch inmitten von erkennbaren Feldern, Wiesen, Bäumen, Blumen. Mit Schwung markiere ich die Wolken, den Weg zwischen den (…)
Ich erreiche die Grenzen der Abstraktion. Ich berühre sie und bleibe doch inmitten von erkennbaren Feldern, Wiesen, Bäumen, Blumen. Mit Schwung markiere ich die Wolken, den Weg zwischen den Hügeln. Ich schlage mit voller Wucht auf den rosa Boxsack, schalte aber das Denken nicht aus. Ich bleibe in der Nähe der deutschen Expressionisten, ihres wilden Kolorits, ihrer ungezügelten, ausgefransten Flecken, ihrer starken Pinselstriche. Auf meinem Beistelltisch im Atelier, auf dem Stapel von Büchern, liegt ein Album mit Reproduktionen der Bilder von Emil Nolde. In letzter Zeit kehre ich immer wieder zu ihm zurück. Die elementare Kraft der Farben in seinen Landschaften ist atemberaubend. Rosa, lila und rote Wolken türmen sich auf dem hohen Himmel. Gäbe es eine Poesie der Farbe, wäre Nolde ein Poet.
Apropos Expressionisten
Apropos Expressionisten: Emil Nolde liebte Blumen. Karl Schmidt-Rottluff liebte Blumen. Sie stellten auf den Tisch Töpfe mit Kakteen und anderen exotischen Pflanzen und malten sie, ein Bild nach dem (…)
Apropos Expressionisten: Emil Nolde liebte Blumen. Karl Schmidt-Rottluff liebte Blumen. Sie stellten auf den Tisch Töpfe mit Kakteen und anderen exotischen Pflanzen und malten sie, ein Bild nach dem anderen. Nolde ging ins Freie und malte schnell mit Wasserfarben auf kleinen Zetteln, als ob er zarte überbelichtete Fotos von Sumpfdotter-, Mohn- und Kornblumen sowie vom wilden Flieder gemacht hätte. Ich liebe Blumen.
Die Tulpe ist meine Blume
Die Tulpe ist meine Blume. Die Heldin der Bilder. Ich habe sie gewählt oder vielleicht sie hat mich gewählt. Man bräuchte hier einen Psychoanalytiker, um festzustellen, wer wen und wieso gewählt (…)
Die Tulpe ist meine Blume. Die Heldin der Bilder. Ich habe sie gewählt oder vielleicht sie hat mich gewählt. Man bräuchte hier einen Psychoanalytiker, um festzustellen, wer wen und wieso gewählt hat... Sie reicht mir für alle Pflanzen der Welt. Nach anderen suche ich nicht. Frische Tulpen mit geschlossen Kelchen unterscheiden sich von den reifen, fleischigen, königlichen. In voller Blüte erinnern sie an Stiefmütterchen. Nolde malte alle Blumen der Welt. Natürlich malte er auch Tulpen. Das Aquarell “Madonna mit Tulpen” könnte genauso gut den Titel “Tulpen mit Madonna” tragen.
Bäume wie ein Ornament
Bäume wie ein Ornament. Ornament aus Bäumen. Änderung des Lichts, Dämmerung, und es wird symbolisch. Unruhe, Geheimnis. Ich ändere die Koloristik, ich ändere die Welt. Und wieder weiß ich (…)
Bäume wie ein Ornament. Ornament aus Bäumen. Änderung des Lichts, Dämmerung, und es wird symbolisch. Unruhe, Geheimnis. Ich ändere die Koloristik, ich ändere die Welt. Und wieder weiß ich nicht, ob ich eine solche Landschaft gesehen habe, ob sie wirklich so war.
Die Außenwelt, in mir enthalten.
Sonnenuntergang
Sonnenuntergang. Es ist wirklich ein Rätsel, warum gerade dieses Thema auf der Leinwand so leicht zum Kitsch wird. Auch wenn man ein guter Maler ist. Man muss aber die Sonnenauf- und -untergänge (…)
Sonnenuntergang. Es ist wirklich ein Rätsel, warum gerade dieses Thema auf der Leinwand so leicht zum Kitsch wird. Auch wenn man ein guter Maler ist. Man muss aber die Sonnenauf- und -untergänge malen, denn was gibt es noch Schöneres auf dieser Welt? Man muss es versuchen. Einigen Künstlern gelingt es so großartig, dass die nächsten Malergenerationen nur schwer ihre Vorbehalte überwinden können und sich an die untergehende Sonne wagen. 1895 malte Emil Nolde (natürlich er!) ein kleines Bild – eine rote Sonnenscheibe, die über den Bergen aufgeht. Oft sagte er, dass dieses Werk ihm die Richtung gezeigt hat.
Die rosa Wolke
Vor einigen Monaten habe ich mein Haus renoviert. Die Wände sollten weiß gestrichen werden, die Bilder musste man entfernen.
Diese aus dem Wohnzimmer und dem Esszimmer wurden für viele Tage irgendwo in einer Ecke abgestellt und ich konnte lange die leeren weißen Wände genießen. Ich holte tief Luft. Nachdem ich die Leere ausgekostet hatte, begannen die Bilder aus dem Atelier im Obergeschoss aufs Neue, im ganzen Haus zu wandern.