Abstraktum oder Konkretum? Über die Malerei von Łukasz Majcherowicz

Ewa Sonnenberg Von Ewa Sonnenberg

Geometrie, die der Malerei dient. Malerei, die Geometrie benutzt, um dem Spaß zu dienen. Die Welt ist ein Spiel aus mathematischen Klötzchen.

Łukasz Majcherowicz Łukasz Majcherowicz Łukasz Majcherowicz Łukasz Majcherowicz Łukasz Majcherowicz

Unsere Realität ist mathematisch. Sie wird von einer einzigen Formel bestimmt. An diese zu gelangen bedeutet die Kette zwischen Ursache und Folge durchzubrechen. Den Tag gegen die Nacht, die Nacht gegen den Tag zu tauschen.

Rechtecke und Quadrate stellen ein stetiges Durchringen des Raumes dar, als ob die Wissenslust auf die andere Seite des Sehens durchsickern würde. Die Anhäufung von geometrischen Körpern ist keine Hilflosigkeit, es ist der Versuch, zum Anfang zurückzukehren. Ein Zusammenprall von dem Realen mit dem Irrealen. Die Anwendung der Geometrie ist quasi wie ein kartographisches Netz über den Raum zu werfen.

Die Malerei kommt aus der Leere und strebt nach ihr; nach der Essenz des Daseins. Sie kommt aus der Leere, in die wir uns täglich begeben. Aus dem großen Nichts, das Alles sein kann.

Diese Leere ist Ruhe, eine Art kontemplativen Stillstandes. Eins ergibt sich aus dem Zweiten, beide sind eine Ganzheit. Eine grenzenlose Leere, eine Leere mit Grenzen. Apeiron und Peras.

Und noch die zweite Art Leere - eine hochragende Hierarchie, Realität genannt.

Zwei Leeren, ein Bild. Zwei Leeren, wie Schwarz und Weiß.

Die Leere bedeutet keinen Zustand „ohne“, sondern einen Zustand „angesichts“, der zu verwandeln ist. „Angesichts“ zu sein bedeutet ständig in einem Verhältnis zu stehen, stets auf Impulse zu reagieren, immer zu verlieren. „Angesichts“ der angehäuften Vielfältigkeit, die zu Chaos, Unordnung und Zersplitterung wird. Das Chaos verformt eine richtige Wahrnehmung der Welt. Es verzerrt den Einblick in sich selbst und andere.

Die Knappheit der Bilder ist eine offensichtliche Abwehr vor dem Weltchaos. Es ist ein Versuch der Konzentration zu einem offenen Raum durchzudringen. Eine reife, durchdachte Revolte gegen die angesammelten Informationen und Geschehnisse. Diese Revolte ist Wissen, ohne Wissen zu nutzen.

Geometrische Figuren dienen der Beschreibung der Welt. Können sie aber ihre ganze Vielfältigkeit ausmalen? Werden sie das Geheimnis des Blitzes lüften? Oder erzählen, woran die Wolken denken? Werden sie eine Diagonale von Träumen ausmessen und alle Regentropfen nachzählen können?

Was ist die Geometrie, wenn nicht ein Wunsch, die Grenzen der dritten Dimension durchzudringen?

Wir bewegen uns der Länge, Breite und Höhe entlang und überlegen nicht, ob es eine Pforte zu einem ganz anderen Raum gibt. Vielleicht deswegen kommt es zur Deformation des darstellenden Materials, mit dem der Künstler arbeitet. Es kommt ein Punkt, in dem es scheint, die geometrischen Figuren würden sich nur gegenseitig nachahmen -- verzerrt, umformt, als ob sie nur ein Echo vom „Hier und Jetzt“ wären. Auf diese Weise bricht die Bindung zwischen dem Darstellenden und dem Dargestellten.

Diese Bilder sollen aber nicht darstellen, sie sind vielmehr Anti-Darstellungen. Sie sind ein Versuch ein Stück weiter zu gehen, zu dem was es nach der Darstellung gibt. Zu der Stille hin, in der Etwas ertönt, was wir kennen, was aber gleichzeitig neue Bedeutungen annimmt. Diese Bilder sind die Sprache, die eine unsichtbare Welt benutzt, um sich mit der sichtbaren zu verständigen.

Jetzt hältst du in deinen Händen die Leere. Sie erinnert an nichts, trotzdem hältst du sie. Du weiß nicht, was du mit ihr tun sollst. Du weiß nicht, wie sie nützlich sein könnte. Kein Plan für das Zukünftige, Weitere, das Leben, das Hier und Jetzt. Deine Hand trägt jetzt diese große Last der Einsamkeit und Verlassenheit. Nein, sie ist kein Sand, du kannst sie nicht vor sich streuen. Sie ist auch kein Stein, du kannst sie nicht vergraben. Die Leere ist wie Efeu, der jedes Haus, jeden Weg und jede Mauer umwickelt. Dieser farblose Efeu, der dich umschlingt. Er beengt die Füße, schränkt die Bewegung ein. Du gehst, aber weißt nicht wohin. Die Himmelsrichtungen haben ihre Tiefe und Schärfe verloren. Sie haben sich in eine falsche Weltkarte vermischt. Jetzt musst du nicht zwischen dem Guten und Bösen wählen, sondern zwischen Bösem und Bösem, Gutem und Gutem.

Die geometrischen Linien sehen wie geheimnisvolle Landkarten aus. Vielleicht sind hier Wege zum Erkenntnis, zu dem Ort, wo der Verstand frei wird und die Sinne gereinigt werden. Wege zu echten und tiefen Empfindungen, die zeigen, dass Ratio ein künstliches Schema ist, um die Welt und den Menschen zu beschreiben. Die geometrischen Linien sind kein Kontinuum, sie sind ein Anhalten. Sie verwischen die Grenze zwischen Raum und Zeit, hypnotisieren mit dem Rhythmus der gleichmäßigen Folgen. Es ist quasi ein stetes Farb-Ostinato.

Abstrahierte Linien besitzen keinen Kontext, er wird ihnen von dem Betrachter verliehen. Der Kontext kann existentiell, absurd, mystisch sein. An der Grenze zwischen Linie und Hintergrund lässt sich eine Art sublimierter Ironie sehen. Als ob uns der Hintergrund mehr erzählen könnte, unsere Denkrichtung bestimmen würde. Was ist aber der Hintergrund? Und wer braucht wen mehr: der Hintergrund den Objekt, oder der Objekt den Hintergrund?

Spuren verwischen, als ob wir die Wege der Papillarlinien wegradieren könnten. Du möchtest diese Papillar-Stimmen des Schicksals vernichten. Als ob es möglich wäre, all die Risse auf der dünnen Oberfläche der Empfindlichkeit zu beseitigen. Risse sind wie Narben, sie lassen sich nicht entfernen. Man kann sie nicht übersehen. Sie lassen sich nicht vergessen. Man muss sie fühlen. Narben, die fest an der Seele haften, wie Wunden am Körper. (...)

Auf den Bildern erscheint immer wieder derselbe Motiv, der umformt wird und einen Bogen schlägt. Das Rechteck wird zu einer blauen Tür. Ein Rechteck verschrumpft zu einer Linie. Was war zuerst da - die Tür oder die Linie?

Wovon erzählen diese Quasi-Labyrinthe, die der Betrachter, dem Künstler nach durchgehen muss?

Zwei identischen Labyrinthe, die nebeneinander existieren. Zwei Parallelwelten – ein Monster der Illusion und sein Spiegelbild. Als ob der Autor sagen wollte -- sich Mühe zu geben bedeutet, sich mit der Perspektive der zwei identischen Monster zu messen. Das Labyrinth als Werkzeug, um den Menschen zu besiegen. Der Ausgang aus dem Labyrinth – unbesiegbar. Das Labyrinth als Metapher für Etwas, was täuscht, fälscht, lockt. Sein verlogenes Einflüstern. Die ewigen Irrwege, die falschen Gänge.

Aber das Labyrinth ist nicht draußen, es ist in uns. In uns lagern die Verwicklungen des vom Zufall geborgenen „Ich“. Wie kann man dieses Netz falscher Pfade lösen, die unsere Gefühle und Emotionen sind?

Solange wir unseren Emotionen folgen, werden wir unseren Lebenslauf nicht im Ganzen sehen. Ihn im Ganzen zu sehen bedeutet, den unnötigen Ballast der Anhänglichkeit für Dinge und Menschen abzuwerfen. Sich von der Kette Bedeutung/Assoziation zu befreien und sehen, dass jede Geste, jede Einzelheit und jede Kleinigkeit ein fester Teil der Welt ist. Aber ist das identisch mit Verstehen? Eher nicht. Jeder Versuch des Verstehens macht uns klar, wie hilflos wir gegenüber dem sind, was wir nicht nennen können.

Diese Bilder beschränken unsere Gefühle und Emotionen auf die Betrachtung des Einzigen. Die Gefühle und Emotionen sind eingestellt, in Klammern gesetzt (gemäß dem cartesianischen Epoché).

Was bleibt dann, wenn wir das ganze emotionale Gepäck absetzen? Gibt es noch ein „Ich“? Diese Bilder versuchen, unser echtes „Ich“ zu entfalten und es auf eine Ebene zu lenken, wo es keine Zweifel gibt.

Sollen diese Quadrate und Rechtecke die Grenze unseres „Ich“ bestimmen?

Oder aber das eigentliche, intensive und echte „Ich“ hervorheben?

Weil sich diese Malerei bewusst auf das Labyrinth bezieht, wird sie symbolisch. Es ist nicht mehr nur die Leere, oder die Leere der Leere, sondern ein Zeichen, eine Richtung, ein Symbol, ein Muster. Deshalb ist sie emblematisch, eine Art Mandala, die gleichzeitig Meditation aufzeichnet und zu ihr aufruft. Sie lenkt uns in Richtung Stille und Inneres. In buddhistischen Mandalas symbolisiert ein Quadrat das, was menschlich und irdisch ist.

Stellen diese Bilder die menschliche Kondition dar? In buddhistischen Mandalas findet man Ringe. Der wichtigste, der Feuer-Ring, symbolisiert die Vernichtung des Unwissens. Das Unwissen ist verbunden mit der illusorischen Denkweise. Es ist das Labyrinth, eine Schema des Denkens. Im Buddhismus ist das Labyrinth eine Illusion, in der Antike eine Gefahr. In der europäischen Kultur ist es eine Ideal-Konstruktion, ähnlich wie das cartesianische Ratio, das uns in den strengen Rahmen des Verstehens zwingt, das jegliche Fantasie, Geistlichkeit und Intuition hemmt. Vielleicht deswegen benutzt der Maler solche lapidaren und einfachen Ausdrucksformen, um zu deuten, dass das Wesentliche sich irgendwo innerhalb befindet, außerhalb des Wirklichen und Rationalen. Das Wesentliche finden wir nicht in dem, was kompliziert und laut ist, sondern in der Stille und Simplizität. Vielfalt wird auf die Einheit reduziert.

Die Einheit ist wie ein Schlüssel. Ein Schlüssel in den Händen von jemandem, der zu weit ist, um uns seinen Namen nennen zu können. So weit und doch so nah. Wie Stimmen, Wörter und Sprachen -- sie sind wie eine Wand, hinter der dieselben Stimmen, Wörter und Sprachen völlig anders klingen. Sie gewinnen an anderen Bedeutungen. Hör gut zu, dann findest du in der Wand eine Tür. Der Schlüssel ist die Einheit, die das Ganze verkörpert.

Bei der Wanderung durch die Malwelt von Łukasz Majcherowicz fand ich eine Tür. Eine blaue Tür. Eine Tür aus auf sich überlagernden Rechtecken. Diese Multiplikation mündet in diesem letzten, unvollständigen Rechteck, das eine Tür zu sein scheint. Die Rechtecke sind wie unzählige Türen, ein Gehen ins Weitere, ein stetiges Weiter und mit jedem Weiter kommt eine neue Tür und dann noch eine, endlos. In dem Blau der letzten Tür gibt es ein Optimismus. Dass wir doch das Ziel erreichen. Dass es in der unsicheren Vielfalt einen festen Punkt gibt. Das Blaue ist wie ein Punkt nach dem letzten Satz. Ein blauer Ausgang aus dem Labyrinth? Oder Eingang? Zu welcher Welt? Die geometrischen Formen sollen nur andeuten, dass sie einen neuen Bedeutungsraum öffnen. Vielleicht den, von Rainer Maria Rilke beschriebenen „innerlichen Weltraum“ ? Die Wahrnehmung dieses Raumes bedeutet, Gegenstände als Existenzen zu betrachten. Die Gegenstände sind also nicht mehr tot, sondern sie können ihre eigenen Geschichten erzählen, ihre Gefühle mitteilen, sie können auch reagieren. Unter die Haut der Gegenstände eindringen. In einem Gegenstand sein, wie in sich selbst. Der Wettlauf mit der geometrischen Ergänzung der Welt findet in den Gegenständen statt.

Gegenstände räumen den Raum auf, indem sie ihn brechen oder binden. Führt die blaue Tür zu dem „innerlichen Raum“? Dort, wo alles an Bedeutung gewinnt und jede Einzelheit kostbar ist?

Wenn du einen Gegenstand betrachtest, was kommt zuerst: das Gefühl oder der Gedanke? Unsere Welt wird von Gegenständen regiert. Sie strecken ihre Hände zu uns aus und sagen: nimm uns wahr. Und dann weiß man nicht mehr, was uns mehr ähnelt – die Materie oder die Geistigkeit? Beide erklären den Alltag. (...) Nur sie halten mit der Realität Schritt, während wir mit jeder Geste „hier und jetzt“ kämpfen. Sie kennen ihr Ende, während wir mit dem geheimnisvollen Übergang „von hier bis da“ ringen. Sie haben Benennungen, unsere Namen sind nur ein Echo.

Abstraktionen sind nicht figurativ, trotzdem erzählen sie. Sie sind eine Aufzeichnung eines Weges, vielleicht eines in eine andere Welt. In einen Ort, wo wir die Last der Materie loswerden und eine schwerlose Leichtigkeit annehmen. Was wird diese Leichtigkeit? Die Geistigkeit? Die Linien zeichnen einen Weg in Richtung Stille. Vielleicht deshalb zittern die Bilder, sie haben eine innerliche Spannung mit mehreren Höhepunkten. Man weiß nicht, was als erstes da war – die Stille oder das Schweigen.

Das Schweigen entwürdigt, die Stille stärkt. Was bekommen wir dafür, wenn nicht die Stille? Wie können wir beantworten, wenn nicht mit Schweigen? In jedem Bekannten verbirgt sich das Unbekannte. Jeder Weg ist der Anfang eines anderen Weges. Jedes Ende ist ein neuer Anfang zugleich. Jeder Anfang ist auch ein Ende. In jedem Gefühl durchschimmert der Schatten eines anderen Gefühls. In jedem Anderen gibt es noch ein Anderes. Als ob wir abstreiten könnten. Etwas abzustreiten bedeutet, Illusionen aufzugeben. Eintauchen, ertrinken und von dem Boden des Schweigens wieder abstoßen. In einem neuen Land auftauchen. Neues mentales Land? Sich versenken in all das, was in uns ausklang, was sich widersetzte und anpasste. Sich aussöhnen? Ein ausgesöhntes Schweigen? Vielleicht doch noch ein Widerstand, der das Wort ablehnt, da Wörter verdecken, statt zu enthüllen. Nur die Stille enthüllt, aber wer kann sie erreichen, wer kann ihr gerecht sein? Die Fähigkeit, der Stille zuzuhören. Die Stille enthüllt, da das Schweigen erzählt. Wo liegen dann die Grenzen der Stille und des Schweigens?

Die von dem Maler verwendeten Linien begrenzen nicht, im Gegensatz – sie öffnen. Darauf beruht der Widerspruch. Es ist wie bei Paradoxen von M. C. Escher. Etwas, was eine begrenzende Form hat, erlöst und befreit. Ein scheinbares Gefängnis ist die Freiheit. Und umgekehrt. Etwas, was wie ein Turm aussieht ist ein offener Raum. Ein offener Raum kann ein Turm sein. Wissen ist Un-Wissen. Un-Wissen kann Wissen sein. Und so soll man diese Bilder interpretieren: als Gesicht dessen, was nicht existiert, sondern Ist.


Die kursiv geschriebenen Fragmente entstammen Ewa Sonnenbergs Reihe Planet Erde.



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