Die Auswirkungen von Farben

Agnieszka Wolny-Hamkało Von Agnieszka Wolny-Hamkało

Das Stendhal-Syndrom ist eine Störung, die sich durch Schwindel, schnellen Herzschlag, Benommenheit oder Halluzinationen manifestiert. Sie ist bei empfindlichen Personen zu beobachten, die in einem kleinen Raum mit vielen Kunstwerken und Denkmälern konfrontiert werden.

Jacek Łydżba
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Wie ist es möglich, dass eine bestimmte Farbenkombination uns zu Tränen rührt, zum Lachen bringt, Begeisterung oder Melancholie hervorrufen kann? Ich stelle mir den Menschen als eine Karte voller Knöpfe vor, die unter der Haut verborgen sind. Es kann passieren, dass ein talentierter Künstler sie intuitiv finden und drücken kann, so wie man Klaviertasten drückt, und durch uns Musik fließt. Beim Betrachten mancher Bilder spüren wir dies: eine Welle, die von den Füßen nach oben aufsteigt und den ganzen Körper überkommt - bis zur Entladung durch Tränen, Schwindel, Lachen, kompulsives Hautkratzen. Ein Werk dieser Art ist wie ein suggestiver Traum: aus ihm gehen wir in die Realität zurück mit einer anderen Optik, mit Filtern in den Augen, mit dem Kopf voll von bunten Fragmenten eines Kaleidoskops. Der Augenblick der Kommunikation zwischen dem Betrachter und dem Bild ist eine Hadronenkollision, ein atomarer Energieaustausch. Wie werden die Auswirkungen dieser schönen Katastrophe? Wie werden die Auswirkungen von Farben?

Jacek Łydżba

Die Bilder von Jacek Łydżba sind starke Farben-, Emotionen- und Temperaturenmagnete. Wenn sie erscheinen, schaffen sie eine ganze Welt: wie ein niedliches, lebhaftes Kind, das plötzlich, im Schlafanzug und barfuß, auf einer Party auftaucht und von dem man den Blick nicht abwenden kann. Ich stelle sie mir als große städtische Plakatwände vor. Sie stehen entlang der Autobahnen: Menschen in Autos halten an, um sie zu sehen, was in endlosen Staus endet. Schließlich kampiert man in den umliegenden Weizen- oder Maisfeldern. Schnell entstehen kleine Unternehmen, Händler bieten Mineralwasser und Salzstangen an und die Bilder werden für heilig erklärt. Naja, jedenfalls wimmelt es in deren Nähe von Schaulustigen, weil man sich schwer von ihnen trennen kann, möchte sie bei sich haben, sie als private Sonnen in intimen Konfigurationen, als Elemente der eigenen Geometrie besitzen.

Jacek Łydżba

Wäre der Mensch ein transparenter Behälter, der sich beim Anschauen der Bilder mit Farbe füllt, wäre es noch interessanter. Wir hätten dann mehr über unsere Sensibilität gewußt, unsere Temperatur gekannt, könnten aufgrund der Farbe Beziehungen eingehen.  Wohnungen hätte man nach dem Muster „Alles in Gelb“ oder „Alles in Blau“ möbliert. Zu den Künstlern würden sich Warteschlangen anstellen, wie einst zu Fleischereien: Geben Sie mir das hochwertigste Produkt - Ultramarin! Cadmiumgelb! Indigo! Unbezahlbar! Begabte Chemiker würden statt Meth Farben kochen, die dann, im großen Stil geschmuggelt, im breiten Strom aus Pakistan und Kongo nach den beiden Amerikas geflossen wären. Ähnliches geschieht ja bereits heute mit Gemälden, die die größten Leidenschaften wecken, nicht wahr? Denn schon jetzt gibt es jene, immer wieder Realität werdende, geistige und physiologische Liebe zu den Farben.

Jacek Łydżba

Aber in diesen Werken steckt noch etwas Anderes: ein fröhliches Spiel, eine faszinierende Spannung zwischen Ernst, Tiefe des Symbols und Leichtigkeit des Witzes. Zwischen der Tradition und Moderne, zwischen der Buchstäblichkeit des Zeichens, dem Konkretum der Figurativität und dem Traum von Freiheit des Abstrakten. Beide Pfade, beide Vektoren erzeugen, indem sie gegeneinander ringen und ineinander dringen, eine einzigartige Energie, die den Betrachter trifft. Jacek Łydżba ist sowohl mit Dürer als auch mit Warhol befreundet, verbindet scharfe Schnitte und Präzision eines Kupferstiches mit der Poetik eines Plakats und mit dem Karneval der Pop-Art. Eine solche kontrastierende Beleuchtung von beiden Ausgangspunkten / Blickwinkeln offenbart das kritische Potential; der Künstler wählt jedoch statt Negation Polyphonie, statt Dissonanz Balance, alles voll von Spannungen, Vitalität und Dynamik. Auch wenn sie ihre Wurzeln in der Metaphysik der Farbe hat.



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