Mütter

Adam Wiedemann Von Adam Wiedemann

Jacek ŁydżbaJacek ŁydżbaJacek ŁydżbaJacek ŁydżbaJacek Łydżba

1.

Beten ist nicht leicht, daher zahlreiche Erfindungen, jene Trommeln, Rosenkränze, Teppiche, die ein physisches, mechanisches Gebet ermöglichen, das weder den Geist noch das Herz einbezieht. In unserer Kultur beten wir aber üblicherweise eher an Jemand, wir haben lieber diese Illusion des Kontakts mit einer Person, die uns zuhört und irgendwie reagiert. Am schwierigsten ist es, an Gott zu beten, weshalb wir zur Hilfe von Heiligen und Seligen greifen, deren Fähigkeit zu vermitteln von Vatikan, einem Kirchenstaat mit 44 ha Grundfläche, bescheinigt wurde. An ihrer Spitze steht die Heilige Maria, das einzige menschliche Wesen, das körperlich im Himmel verweilt, durch niedere Staatsbeamte mit der Abkürzung NMP bezeichnet (denn der volle Titel passt nicht auf das Schild mit dem Straßennamen). Außerdem ist sie die Schutzheilige des bekannten Radiosenders in Toruń, weswegen man sie neuerdings in unserem Land mit etwas Ambivalenz betrachtet. Aber es war nicht immer so. Am Ende der 60er schrieb Witold Wirpsza in seinem Buch Pole, wer bist Du?, dass wir als Volk unter der Herrschaft von zwei weiblichen Gottheiten stehen, die in einem gewissen Sinne miteinander konkurrieren: der Heiligen Maria von Częstochowa und der Heiligen Maria vom Spitzen Tor, was schon der Anfang von unserem Nationalepos zum Ausdruck bringt, der ja eine Invokation an die beiden ist. Das authentische Bildnis von Maria ist nicht erhalten (wohl nie entstanden), aber in Kontakten mit ihr benutzen wir gerne symbolische Darstellungen (manchmal von mystischen Visionen bekräftigt). Es sind Bilder und Figuren: die ersteren oft mit dem Status von Gnadenbildern und massenhaft kopiert (die Kopie des Bildes der Heiligen Maria von Częstochowa mit der Unterschrift eines der Primasse wandert durch Polen und wird, nach dem Prinzip von chinese whispers, von Heften mit immer seltsameren Gebeten begleitet); die letzteren, auf häuslichen Altären und in hauseigenen Kapellen aufgestellt, sind ein handlicher Artikel des täglichen Gebrauchs. In der Regel handelt es sich um eine schlanke Frau von zeitloser Schönheit im blauen Mantel, die barfuß eine Schlange zertritt (in deren Gestalt sich der gefallene Engel Luzifer versteckt). Erwerben kann man sie auf Kirchenmärkten und in Geschäften mit Devotionalien. Manchmal nehmen sie die Form von Plastikflaschen an, aus denen, nach dem Aufdrehen der Krone (da Maria, neben der Anna Jagiellonica und der heiligen Hedwig, auch Königin Polens ist) man Weihwasser trinken kann. Denn die Heilige Maria zeigt sich oft in der Nähe von Heilquellen und übernimmt somit die Plenipotenzen der antiken Najaden, die ihr wiederum nichts schuldig bleiben (es gibt mindestens einen bestätigten Fall einer wundersamen Genesung durch Hören von Karol Szymanowskis Die Quelle der Arethusa). Ich erwähne dies, weil die häuslichen Marienfiguren uns hier besonders interessieren.

2.

Andrzej Kuczok ist Maler, Blogger und Schöpfer von monumentalen Mosaiken, die seine Heimatstadt Chorzów schmücken. Sein Sohn Wojciech, um ihn lächerlich zu machen und die eigenen Kindheitstraumata abzureagieren, läßt ihn (oder, im engeren Sinne, die Gestalt des Vaters, die von Jan Frycz gespielt wird) im Drehbuch zum Film Die Striemen Gipsfiguren der Heiligen Maria mit Farbe bedecken. Es unterliegt keinem Zweifel, dass so ein Bemalen gewisse künstlerische Fähigkeiten erfordert. Andererseits hat diese Handlung nicht Gemeinsames mit der Kreativität, man kann sie also für ein Synonym der Nachahmung, des Nichtoriginellen, der Fließbandarbeit halten, das dazu noch die typisch polnische Bigotterie und Vorliebe zum Kitsch unterstützt.

Diese Geste des Sohnes fiel mir ein, als ich einige neue Werke von Jacek Łydżba gesehen habe - eines Künstlers aus Częstochowa, der "im Schatten der Basilika" lebt, aber das sehr ernst nimmt, nicht wie einen Albtraum, sondern als eine Aufgabe. Łydżba, als Schöpfer von zart religiös angehauchten Staffelbildern bekannt, schaffte zuerst einen Zyklus von Gemälden mit architektonischen Motiven des Sanktuariums der Schwarzen Madonna. Dann aber wollte er noch tiefer gehen, zu den Quellen der primitiven Religiösität, indem er zu diesem Zweck massenhaft produzierte Gipsabgüsse der Figur von Madonna benutzt (ich nenne dieses Wort voll bewusst dessen Doppeldeutigkeit, da es ja gleichzeitig der Künstlername einer berühmten Sängerin ist). In seinen einmaligen (sich nicht wiederholenden) Polychromien an dem sich wiederholenden Material stellt er eine ziemlich wesentliche Frage: in welchem ästhetischen Klima reifen wir (und oft bis zum Ende bleiben wir) als polnische Katholiken? Sind es Meisterwerke von Cimabue, Giotto und Donatello? Wohl kaum. Zwar hing über meinem Kindesbett die wunderschöne, mädchenhafte Madonna von Leonardo, aber ich war eine Ausnahme (mein Vater, so wie der Vater von Kuczok, ist ein lokaler Künstler). In der Regel erinnern wir uns an den Sparbüchsenengel, dem man vor der Religionsstunde einen Groschen eingeworfen hat, wie auch an die geschmacklose Marienkapelle an der Straße, wo man im Mai gesungen hat, wie "die kleine Bernadette in den Wald ging, um Holz zu holen" (und um Maria an der besagten Quelle zu treffen). Die Polychromien von Łydżba haben keinen transgressiven Charakter, keine Absicht, die Tradition zu zerstören oder sogar mit ihr zu diskutieren, sie bringen dagegen die sentimentale Qualität ein: sie sollen nicht verhöhnen, sondern berühren, ihr Reflexionspotential ist sanft und gibt einer Figur, die zwar massenhaft und für Kohle produziert wird, aber dennoch die Maria, Mutter Jesu darstellt, ihre Würde zurück.

3.

Das Gewand von Maria schmücken Blumen, Sterne oder Herzen (die letzteren bluten manchmal). Łydżba erlaubt sich keine neuen Motive, er multipliziert nur die alten mit einer barocken Übertreibung. Seine Heilige Maria knüpft nicht mal an die Tradition der Schönen Madonnen, sie ist "gefällig" nach dem Prinzip, über das Czesław Miłosz in seinem Theologischen Traktat geschrieben hat.

Hier können wir uns die nächste Frage stellen: kann (soll?) ein ästhetisches Erlebnis gehobener Klasse mit einem tiefen religiösen Erlebnis gepaart sein? Schon wieder: Wohl kaum. Obwohl unter der Schirmherrschaft der Kirche unzählige Meisterwerke entstanden sind, gründet unsere religiöse Phantasie auf armselige Darstellungen, billige Öldrucke, über die (infolge der Verwischung von jeglichen individuelle Zügen) die Wahrheit hinweg leuchtet. Uns rettet nicht die Kunst, sondern der Glaube. Der Kitsch hat in sich mehr Wucht als die vollkommenen Gemälde und Fresken der atheistischen Meister der Renaissance, das Schöne und das Gefällige geraten miteinander in Konflikt, genauso wie die Perfektion der pornographischen Choreographie und eine zärtliche Umarmung. Man könnte sagen, dass in den Werken von Łydżba sich die Heilige Maria besser widerspiegelt als in Bildern, zu denen italienische Prostituierte Model standen - wenn es nicht die Tatsache gäbe, dass diese Arbeiten hauptsächlich als Camp gelten werden. Sollen sie mal Wohnungen der Amateure der modernen Kunst schmücken, bringen sie einen nicht zum Gebet, sondern zum Lächeln oder sogar Kichern. Schade um sie.

Gleichzeitig aber bin ich ihnen dankbar dafür, dass es in ihnen nichts Hastiges, Oberflächliches und Gellendes gibt, was ich befürchtet habe. Sie sind gut und erwecken Vertrauen, aber sind eben keine Kunstwerke.

PS

Natürlich drängen sich noch weitere Fragen auf. Bezieht sich der Termin "Massenkultur" ausschließlich auf die Songs der erwähnten Madonna? Hat der Papst Johannes Paul II (JPII) sich tatsächlich für die Hochkultur eingesetzt, als er ein ganzes Repertoire von schlichten Goralenliedern vorgesungen hat? Die Camp-Schöpfer, insbesondere Ronald Firbank, haben schon längst die Diskrepanz zwischen der "kirchlichen" Ästhetik und den Regeln des guten Geschmacks entdeckt. Es ist vielleicht ein Nachteil der Arbeiten von Łydżba, dass sie geschmackvoll sind, dass sie sich gut präsentieren: deren Natürlichkeit erinnert an die Grazie von exotischen Fischen im Aquarium mit absurden genmanipulierten Schleierschwänzen. Das Menschliche führt uns zur Künstlichkeit, die Religiösität beinhaltet das Bedürfnis nach Ritual und Ornat, die dem Tod seinen Schrecken nehmen, in diesem Sinne sind sie natürlich. Die Figur der heiligen Maria verhöhnt nicht denjenigen, der sie anbetet; sie ist Synonym der "gefallenen" Kunst, die ermöglicht, sich dem Kantschen Erhabenen zu entziehen, genauso wie die Prostitution erlaubt, die Sokratische Liebe bei der gleichzeitigen Erfüllung der Bedürfnisse zu umgehen. Das Leben ohne höhere Gefühle ist möglich und sogar weit verbreitet, und wenn wir uns die Madonna in einem mit schwarzen Hakenkreuzen besprenkelten Mantel vorstellen können, dann nur deshalb, weil wir uns aus ihren fürsorglichen Armen befreit haben - und es ist uns kalt, und wir brauchen eine Aufwärmung.



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