Entrückt
Das Wesen dieser Bilder ist Entrückung. Alle Gestalten, Tiere, sogar Dinge scheinen entrückt und schläfrig. Es ist keine Müdigkeit oder Trägheit, sondern ein Spiel mit der Zeit, die wirklich unwirklich ist. Man erinnert sich an die Worte aus der Azteken-Mythologie:
Wir kamen nur, um zu schlafen,
wir kamen nur, um zu träumen,
Es ist nicht wahr, dass wir
kamen, um hier zu leben.
"Ist es aber so?", fragen die Bilder. Wenn es den Tod gibt, gibt es auch das Leben. Der Schatten der Vergänglichkeit ist überall, dass ist aber kein Grund, um Angst zu haben. Man kann den Tod besänftigen wie einen Bären. Die Tiere im Schlaf vollenden den Schlafenden und wirken nicht mehr gefährlich, eher geheimnisvoll.
Die Werke von Katarzyna bilden Zyklen: kurz, aber vielsagend. Der Grund, sich auf ein Thema zu konzentrieren, ist immer der Mensch und die Faszination für ihn. Man braucht nur auf eine Gestalt Licht zu werfen, sie ins Wasser, in die Luft, in die Nacht oder in den Schatten einzutauchen. Die Figuren ziehen einen unsichtbaren Schleier nach sich - die verborgene Geschichte deren Leben und ihre Erinnerungen. Die Künstlerin beobachtet Menschen, sieht sie verstohlen, aber freundlich und zärtlich an, als ob sie sagte: "Ich will Euch verstehen und für eine Weile aufhalten, geht nicht so schnell fort". Sie gehen aber immer fort, für eine Weile oder für immer. Daher der Anflug der Traurigkeit in diesen Bildern.
In einem Brief an mich schrieb Katarzyna:
Alles, was ich male, muß aus Rührung, Emotion, Leidenschaft, Albtraum entstehen. Ausgedachte Bilder - kalkuliert, skizziert und auf die Leinwand übertragen - gelingen mir nicht, ich muß einen gefühlsmäßigen Grund haben, sonst langweile ich mich (...). Am meisten interessiert mich die Atmosphäre um den Menschen und ein kurzer Augenblick, der vielleicht nicht viel sagt, dafür aber sinnlich ist.
Die Energie des Gefühls, die in diesen Worten steckt, gibt der Kunst die Kraft. Genauso wie das Rätsel, das diesen Bildern innewohnt - egal, ob das Thema Schwimmbecken, Tanz, Träume oder die ganz neuen Zirkusszenen sind. Sicherlich verbirgt sich dieses Geheimnis in der Zeit. Die Zeit steht still, aber nur für kurz. Die Malerin hat sie angehalten, um sie sich anzuschauen. Und sie trennt sich nur ungern von ihr, insbesondere von den Menschen, aber was soll's - es ist Zeit zu gehen...
Es fällt auf, wie gut ihre Technik ist: als ob das Aufzeichnen der Welt das tägliche Brot wäre. Gewiß hat ihr die Familientradition geholfen. Die Mutter, Anna Karpowicz, ist eine sehr gute Malerin, der Vater Sławomir war ein herausragender Künstler. Verstorben, als die Tochter 16 war. Er muß aber ihre Begabung bemerkt haben, deren frühes Zeugnis ein Skizzenblock ist - die Dokumentation seiner Krankheit. Sein Ableben, ausgerechnet am Geburtstag der Tochter, hat in dieser Kunst einen dauerhaften Spur hinterlassen, eine Vorahnung, dass jeder Anfang ein Ende ist und jedes Ende ein Anfang...
Wie Katarzyna sich der Farbe bedient, das verdient ein Sonderkapitel: mit zurückhaltendem Mut, was einzelnen Bildern unterschiedliche Atmosphäre und Tönung verleiht, je nach dem Thema. Obwohl die Farbe sparsam und vernünftig aufgetragen wird, werden wir hin und wieder mit einem starken Akzent überrascht.
Da diese Malerei auf das solide Handwerk, die große Tradition der Kunst gründet, entdecken wir darin ohne Mühe verschiedene Spuren. Von der Renaissance durch Zeichen der metaphysischen Malerei bis Balthus - denn es gibt hier die Stimmung seiner Bilder, genauso wie eine Periode von Picasso, dem die Malerin sich durch einstudierte Figurengruppen und Zirkusszenen näherte. Deshalb erscheint hier die Landschaft manchmal als die Summe aller Landschaften in der Geschichte der Malerei.
Diese Kunst entwickelt sich in Zyklen. Die Themen werden ziemlich schnell verworfen, aber ganz natürlich, so wie sich die Ansicht vor den Augen eines Reisenden ändert. Nicht vollständig verarbeitet, aber erlebt, gehen sie fort, indem sie Streifen der Erinnerung hinterlassen, in den folgenden Zyklen sichtbar.
Die Malerin besichtigt die Welt und schleicht sich sowohl in deren leuchtende Geheimnisse als auch in dunkle Winkel ein. Jung, hübsch, zart und sensibel, dazu aber stark und sportlich (sie trainierte früher Schwimmen und kletterte), hat sie viel Energie, auch in der Malerei riskiert sie Einiges.
Ich wiederhole, was ich schon einmal geschrieben, wobei ich nicht nur an Katarzyna Karpowicz gedacht habe:
Man soll sich freuen - also freue ich mich - dass unaufhaltsam eine Gruppe von jungen Malern wieder entsteht, die Kraft und Mut haben, die große Tradition der figurativen Malerei fortzusetzen. Wider Kommerz, Mode und Kritiker.