Von den Umdrehungen der Farben

Piotr Kibort Von Piotr Kibort

Die abstrakte Kunst war eine der am meisten charakteristischen kulturellen Erscheinungen des 20. Jahrhunderts. Ihre Anfänge reichen bis in die graue Vorzeit zurück: als Europa erst an der Schwelle der großen kulturellen Veränderungen, Kriegskatastrophen und blutigen Diktaturen stand (in historischen Kahegorien gar nicht so lange her). Trotz ihrer Andersartigkeit im Vergleich zu früheren Strömungen wuchs auch die nichtdarstellende Malerei aus dem fruchtbaren Boden der Kultur des Alten Kontinents und wurde gleichzeitig zum extremen Ausdruck des Glaubens an eine neue, bessere Zukunft. Nach jahrzehntelanger Existenz funktioniert sie im Bewußtsein der Betrachter als eine Art Klassik, die zwar noch ärgern kann, aber viele auch gleichgültig läßt. Heute wurde die Abstraktion von performativen Künsten, Installationen oder neuen Medien überholt. Und in der Malerei selbst erschienen neue, in der Opposition zur Abstraktion entstandene Formeln – so wie die Abstraktion ihrerzeit eine Opposition zur darstellenden Malerei bedeutete.

Małgorzata JastrzębskaMałgorzata JastrzębskaMałgorzata JastrzębskaMałgorzata JastrzębskaMałgorzata Jastrzębska

Macht es also noch Sinn, etwas wiederzubeleben, das vor beinahe 90 Jahren neu war und heute zu einem in akademischen Lehrbüchern der Kunstgeschichte beschriebenen Phänomen geworden ist?

Małgorzata Jastrzębska unternimmt den Versuch. Seit zwei Jahren malt sie geometrische Abstraktionen, die auf einer präzise gezeichneten Komposition sowie Farbe beruhen. Das Leitmotiv der meisten ihrer Bilder sind konzentrische Kreislinien aus verschiedenfarbigen Abschnitten, in denen die einzelnen Farben sich überlappen, Kontraste bilden oder miteinander harmonieren; ihre Temperatur bestimmt den Charakter der ganzen Komposition oder deren Teile. Auf den größeren Leinwänden erscheinen Zusammenstellungen von Kreislinien, die sich miteinander durch Farben verzahnen, aufeinander wirken und einen verblüffenden Effekt von Bewegung und Räumlichkeit erzeugen. In einigen Kompositionen bedient sich die Künstlerin ausschließlich der chromatischen Farben von unterschiedlichen Tönen, Sättigungen und Schattierungen. Sie beschränkt sich aber nicht auf die aus dem Spektrum des weißen Lichts stammende Palette, sondern bildet ausdrucksstarke Zusammenstellungen der Farben mit Schwarz und Weiß, die die Chromatik durchbrechen, die Geometrie der Figuren verschärfen und das System dynamisieren. Auf einer der Leinwände baut die Anordnung von schwarzen und weißen Vielecken den flüchtenden Raum, durchbrochen von Teilungen der Komposition und durch die Nachbarschaft intensiver Farben. Auf den anderen bilden Ton und Sättigung der Farbe vor den Augen des Betrachters ein Schauspiel der Dreidimensionalität. Die Farbfelder legen sich wie ein im Kaleidoskop entstandenes Bild zusammen (die Malerin selbst gibt ihre Faszination für dieses Spielzeug aus der Kindheit zu); das Chaos der zerstreuten Elemente wird durch das ordnende Prinzip der zentralen Komposition besiegt.

Jastrzębskas Arbeiten werden, unabhängig vom Format, mit Öl auf Leinwand gefertigt. Es ist eine bewußte, aus technischen Vorlieben resultierende Wahl. Jedes Bild hat – anstelle des Titels – eine Nummer, je nach der Folge der Entstehung, es wird in die Dokumentation des Ateliers eingetragen und noch mit dem Datum des Arbeitsbeginns versehen. Aufwändige Technik und Kompliziertheit der Anordnungen sind der Grund dafür, daß die Arbeit in Etappen geteilt wird. Die Ideen schöpft die Künstlerin frei aus ihren früheren Skizzen geometrischer Kompositionen, die sie sowohl im Atelier als auch z.B. während einer Reise auf Papier gefertigt hat. Es kommt aber nicht zum mühsamen Übertragen des Studiums auf die Leinwand; die Skizzen sind eher eine Inspiration, die sich beim Schaffen des finalen Werkes als hilfreich erweist.

Vielfarbige, wirbelnde Kreise erschienen im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in der Malerei der Abstraktionisten, darunter des Robert Delaunay, der sein Schaffen auf theoretische Forschungen von Michel Eugène Chevreul und auf das von ihm formulierte Gesetz des Simultankontrastes der Farben (also der Wirkung nebeneinandergesetzter Grund- und Komplementärfarben) stützte. Sonia Delaunay-Terk ist an die Kunst ihres Mannes auf eine kreative Art und Weise herangetreten, indem sie die von Guillaume Apollinaire geprägte Formel des Orphismus um die Erfahrungen des Kubismus und Fauvismus ergänzte. Diese für das künstlerische Leben nach dem 2. Weltkrieg wesentliche Persönlichkeit war Mitbegründerin des Salons de Réalités Nouvelles: dessen Aufgabe war, die Kunst zu fördern, die die Errungenschaften aus der Vorkriegszeit weiterentwickelte. Małgorzata Jastrzębska knüpft bewußt an das Werk von Sonia Delaunay an, aber sie ahmt sie nicht direkt nach: zu ihren Meistern zählt sie eher Cézanne, Mondrian, Strzemiński sowie Gierowski. Das, was sie zur Zeit schafft, resultiert aus ihrer Vorliebe für die abstrakte Malerei und für die Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Vielleicht steht dies auch im Zusammenhang mit ihren Interessen aus der Kindheit und der frühen Jugend, als Mathematik (darunter auch Geometrie) und bildende Künste ihre Lieblingsfächer waren, später aber die schnell aufgegebenen technischen Studien sie veranlaßten, sich mit der darstellenden Geometrie zu befassen.

Bei den Arbeiten der jungen Künstlerin haben wir mit der Kunst zu tun, die sich der Vergangenheit bewußt ist, gleichzeitig aber durch die zeitgenössische Sensibilität gefiltert wurde. Der Zuschauer erfährt, indem er sich die Bilder mit bunten Figuren anschaut, das Vergnügen des Umgangs mit reiner Malerei. Und das war immer entscheidend für die Wirkungskraft der Abstraktion.



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