Die Schönheit der Vergangenheit
Bogna Gniazdowska hat ihre eigene, originelle Methode, die Vergangenheit zu malen: äußerst bewegend beschäftigt sie sich mit historischer Malerei. Was sonst sind die zahlreichen Porträts, die ein Panorama der Vergangenheit darstellen? Was sind das für Requisite, die auf ihren Bildern auftauchen? Matejko benutzte Gegenstände aus seiner Epoche, um sich auf das Malen vorzubereiten. Er hat sie gesammelt. Nun leben wir aber im einundzwanzigsten Jahrhundert und Gniazdowska hat mehr mit Dokumenten, etwa der Fotografie, zu tun. Sie will auch hauptsächlich mit ihnen zu tun haben. Sie ist auch eine Sammlerin. Ihrer Vorstellung gemäß überträgt sie ihre Helden in die heutige Welt und malt sie mit Farben, die aller Wahrscheinlichkeit nach in ihrer längst vergessenen Welt präsent waren.
The photo NCOs canteen displays a man in an Albanian hat. The painter has multiplied him, and added an ardent colour to it, reinforced by the orange-and-yellow background. Is this really the way we, people of the North, see the Balkans?
Sie malt Porträts, für die Porträtierte Modell stehen. Gniazdowska versucht den Traum vieler zu erfüllen, die Helden der alten Fotos wieder zu treffen, ihre geröteten Wangen und bunten Accessoires zu sehen. Die Fotos rufen nach „Farbe“, die Gestalten bitten um ein Wiedersehen. Die Künstlerin versucht, diesen Wunsch zu erfüllen. Sorgfältig versetzt sie einige von ihnen in unsere Zeit. Keine Mütze fällt vom Kopf, außer, natürlich, der Offiziersmütze. Für mich ist Gniazdowska Malerin der Geister. Dennoch eine Realistin. Eine unmögliche Verbindung? Ja.
War mothers the phenomenon so common during WW1, have been elicited out of ‘A Protectory, Belgrade’, a photograph by Kotik, to show the various statuses: lady bareheaded; lady ‘hatted’; lady ‘headstrapped’.
Es ist nicht einfach, die Zeit zu malen. Die Vergangenheit ist nur ein räumliches und zeitliches Rätsel, ein halb versteckter Schatten, eine unvollständige Kontur. Es bleibt so wenig. Und doch überrascht es, wie viel trotzdem bleibt. Menschen verschwanden, die Dokumente überlebten. Königreiche und Kaiserreiche gingen zu Bruch, einige Porträts und Fotografien blieben. Viele von ihnen haben keine Unterschrift. Fotos von Menschen, die geliebt wurden, die jemandem nahe standen, es sind Vorfahren von unseren Nachbarn, von uns selbst, vielleicht Bewohner ferner Länder. Einige von den damals beliebten Gruppenfotos haben eine gemeinsame Unterschrift, allerdings erkennen wir keine einzelnen Namen. Eine Menschenmenge in Sepia, in Schwarz-Weiß, oder eher in Grau und gebleichtem Grau blickt uns an. Es ist der Blick von Menschen, die viel länger posieren mussten, als wir es gewöhnt sind.
The photo captioned The Switchboard seems extremely appealing and picturesque to us. The ancient-looking headphones of the monitoring crew tapping their mysterious telegrams transfer the viewer into the period of yore even more efficiently than the uniforms can do. The respective paintings are entitled Interception and Switchboard.
Menschen, die das Gewicht der Zeit spüren. Wie es sich für eine echte Malerin des XXI Jahrhunderts gehört, verleiht ihnen Gniazdowska, für die Zeit keineswegs linear läuft, eine Zeitlupe und dadurch sind sie hier, direkt vor uns. Von sich selbst sagt sie, dass sie „die Vergangenheit vorhersagt“. Sieht sie Geister, wie eine echte Wahrsagerin? Etwas in der Art. Sie erscheinen aber nicht nur auf den alten Fotos: seit kurzem tauchen sie auf Gniazdowskas Computerschirm auf.
The war is on. It has come only naturally for the uniform-wearing boys from A Protectory, Belgrade picture to get to the world of adults, through the painting titled Conscription.
Dort werden sie dank neuester Technik vergrößert. Vor allem aber werden sie von Gniazdowska gemalt. Sie porträtiert unbekannte Leute, die längst verstorben sind. Sie betritt ihre grauen Welten, manchmal verweilt sie dort, manchmal holt sie sie in die Welt der Farbe, zusammen mit den Requisiten der Epoche. Es ist noch die Zeit der Uniformen, mit den bunten Accessoires, vielfältigen Mützen, es ist die Zeit, in der man durch verschiedene Formen, Farben, Details, Borten, sogar Federbüschen, weiblichen Hüten, Tüchern und Stickereien Unterschiede erkennt.
And, what can you pick out from the picture captioned Civil stretcher-bearers. The hospital, Belgrade? These are angels, as no-one would doubt. In Gniazdowska’s interpretation, one of those female volunteers gets transformed into a ‘Little Angel making you lucky’, the frame becoming a record of the depth of time.
Die Helden der alten Fotos sind überzeugt, dass ihr Bildnis überleben wird. Für viele war es wahrscheinlich das erste Foto in ihrem Leben. Oft auch das letzte. Niemand von ihnen und niemand von uns rechnete damit, im XXI Jahrhundert ihre gemalten Porträts zu erblicken. Die Vision der Künstlerin ist in gewisser Weise demokratisch: alle gleich in ihrer Anonymität.
Bogna Gniazdowskas Malerei erfüllt den Traum, dass das historische Andenken sowie die „gewöhnliche“ Erinnerung nicht nur weiterleben, sondern uns auch materiell in Erscheinung treten. Die Schönheit der Bilder ist ein zusätzliches Geschenk.