Das Tagebuch, im Bild geschrieben oder Enigma

Małgorzata Czyńska Von Małgorzata Czyńska



Das erste Tagebuch schrieb er mit Worten. Viele Worte, Gefühle, laufendes Geschehen.

"Irgendjemand hat mein Tagebuch gelesen", sagt Jacek.

Jacek Cyganek

Er sagt nicht, wer es war. Unwichtig. Geheimnis, Privatsphäre, Intimität - all das zerbrach wie eine Weihnachtskugel. Nicht nur, dass sie sich genauso fragil wie Weihnachtskugelglas erwiesen: dazu noch hat das Zertreten Bruchstücke hinterlassen, dünn wie Nadeln. Eissplitter, wie in Kays Herzen.

Er musste also einen Weg finden, um seine Notizen zu verschlüsseln - und begann, sie zu zeichnen.

Für einen Fremden, aber selbst für einen Angehörigen ist das gezeichnete Tagebuch nur wenig, nur teilweise lesbar. Ja, man kann raten, aber es gibt keine Gewissheit. Man kann interpretieren, aber ohne Pointe. Vielleicht ist es etwas Wichtiges, vielleicht aber nur eine Reihe automatische Notizen, reflexartige Kritzeleien. Beichte oder Spiel mit dem Stift.

Der Alltag besteht aus einer Liste von Sachen: Akku, Zahnarzt, Rasen. Englischunterricht der Kinder, Kaffee, Tee. Zitronen, Brötchen, Hefezopf. Untersuchung beim Arzt, Post, Bank, Zeitung. Frühstück, Mittagessen, Abendessen, Dachziegel, alter Film. Und so ohne Ende.

Nach einem Vormittag am Tisch bleibt im Notizbuch die rote Teekanne und die Sonne, rund wie eine Orange. Nach einem Krankenhausaufenthalt - das Einzelbett.

Unter gewöhnlichem Hausrat, unter Früchten, zufälligen Vokabeln oder Kommandos drängt sich immer eine Frauenfigur in den Vordergrund. Das Zentrum des Tagebuchs, der Schlüssel des Lebens.

Das Tagebuch von vor zehn Jahren liegt immer noch auf dem Tisch im Atelier. Man muss es nicht verstecken, man braucht um das Geheimnis keine Angst mehr zu haben.

Das zweite Leben des Tagebuchs spielt sich auf den Leinwänden ab. Jacek Cyganek holt sich aus dem Heft einzelne Motive heraus - weibliches Profil, Brüste, schlanke Silhouette, Birne, Apfel, Rauch aus dem Schornstein - als ob er Stücke aus seinem eigenen Leben gegriffen hätte: vergangene Tage, Fetzen von Erinnerungen. Wie ein Puzzle ordnet er sie in seinen Arbeiten - oder, besser gesagt, ordnet nicht, sondern verstreut, denn seine Kompositionen sind eben solche Verstreubilder. Sobald er feststellt, dass etwas zu viel ist, dass etwas nicht passt, übermalt er dies, aber so, dass unter der transparenten Farbe die Konturen der Gegenstände und Figuren durchscheinen. Und das steigert noch das Mysteriöse, das Geheime der Erzählung. Vor Cyganeks Werken verspürt der Betrachter die Neugier und den Wunsch, die Chiffre zu knacken.

Wenn es um den Stil geht, so gibt es da etwas von den französischen Kubisten, von Fernand Léger, aber auch von der polnischen Schule der Plakatkunst, von niedlichen Kindercartoons aus den 60ern, von den schönen und witzigen Buchillustrationen.

Und im Hintergrund, oder gar an der Basis, wird es noch ernster und sehr transzendental - Ikonen, Jerzy Nowosielski und der russische Suprematismus mit der ganzen Kosmologie von Kazimierz Malewitsch, Faszination für Körper und Raum. Die persönlichen Erlebnisse des Künstlers werden erzählt, aber nicht zu Ende - denn irgendwo schwindet das Private, um in universellere Geschichten überzugehen.



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