Zwei Zeichnungen

Krystian Lupa Von Krystian Lupa



Ich bleibe gerne vor ihnen stehen, ich habe solche Bilder zu Hause, die ich mir immer aufs Neue ins Gedächtnis rufen muss, denn sie entwischen mir immer wieder mit ihren geheimnisvollen, nicht offensichtlichen oder hinterlistigen Motiven, und provozieren mit der Spannung zwischen Erzählung und Form.

Zwei Werke von Magdalena Sawicka - vor ihnen bleibe ich sehr oft stehen.

Magdalena Sawicka

Hunde

Sie hängen über meinem Schreibtisch, helfen beim Nachdenken, wenn meine Gedanken wandern, dann hebe ich den Blick.Ich bekomme etwas wie ein Ansporn, so stelle ich mir das vor. Ich wende mich wieder der Tastatur zu, nun scharfsinniger, so ist es auch dieses Mal. Ich habe sie jetzt vor mir auf dem iPad, auf einer frischen Reproduktion.

Dazu spornen sie jedes Mal zum Lachen an, jedes Mal habe ich den Eindruck, sie auf frischer Tat zu ertappen. Wenn sie sich hier sehen könnten und menschliche Koketterie hätten, wären sie mit diesem Bild wahrscheinlich nicht zufrieden. Sie haben keine besonders schönen Posen. Trotz drohender Gesichtsausdrücke und Determination machen sie einen komischen Eindruck.Eine komische Entblößung, doch die Zeichnung ist keine Karikatur.

Ich nenne es chinesisch.

Wie chinesische Erotikstiche.

Präzise Striche folgen unerbittlich der Entblößung, die Gestalten sind zu gierig in ihren Leidenschaften und verlieren ganze Kontrolle über ihr Aussehen.

Von wem denke ich noch?

Japanische Holzschnitte, Beardsley? Alte Kinderbücher, in denen man die Gestalten bemalen oder kleiden konnte.

Dann denke ich noch darüber nach, wie Magdalena Sawicka diese weißen Sternchen zeichnete. Jeden einzelnen Stern mit einer dünnen chinesischen Pinsel? Oder benutzte sie vielleicht eine Schablone? Ich male sie mir aus (wir sind uns nie begegnet, aber natürlich besuchte ich ihre Webseiten), wie sie diese weißen Sternchen, eines neben dem anderem zeichnet, wie ein Kind mit Scherenschnitt oder wie Andy Warhol, als er per Hand die treue Kopie eines Hundertdollar-Scheins malte. Und ich stelle mir vor, dass ihr das geduldige Zeichnen weißer Sternchen eine eigenartige kindliche und primäre Freude bringt. Die Sternchen sind nur rechts auf der Zeichnung da, wo der Schleim kämpfender Hunde tropft.Auch sie, diese weißen Sternchen - spielen eine irrationale und geheimnisvolle Rolle in dieser Komödie, in diesem Formspiel, das unsere heiligsten ästhetischen Werte erschüttert. Die zerrissenen Ränder des Blattes, das zur Zeichnung genutzt wurde, spielen gleichermaßen mit.

Magdalena Sawicka

Heiliger Laurentius vom vergossenen Blut

Die Hagiographie von Magdalena Sawicka ist ein eigenartiges mystisches Tagebuch - Rückkehr zur Magie der Zeichnung, noch bevor die Photographie erfunden wurde, zu Zeichenerzählungen, die auf mythischen Geschichten basieren, zur Zeichnung, die in der Geschichte angesiedelt wird. Die mythische Geschichte heiligt und fetischisiert den Stich - ja, nennen wir es so - der Stich heiligt und fetischisiert die Geschichte. Ein Kind versunken in alten Büchern bei Kerzenlicht! Ich greife zurück zu meiner Kindheit, zu solchen Seancen, zum manischen Zeichnen, das echte und spontan geschaffene Geschichten sättigte. Der Stich war nicht bloß eine Illustration, er spielte in der Heiligkeit der Geschichte mit, er hatte etwas von einer Reliquie.

Ich bleibe vor der furchtbaren und geheimnisvollen Geschichte von Wawrzyniec Wielopławski, einem der Heiligen aus der Hagiographie von Magdalena Sawicka stehen. Auf der Rückseite beider Karten des Diptychons erzählte die Künstlerin die Geschichte von heiligem Laurentius (die ganze Geschichte ist im Internet zu finden) - ein wilder, nackter Landstreicher wird von einem Kind, einem Zarensohn, gedankenlos getötet, die Hunde sind Zeugen dieses unbegreiflichen Geschehens und geheimnisvolle Anbeter von diesem Ecce Homo - dem unerklärlichen Unsinn der Menschenseele - Zeugen und Teilnehmer der frevelhaften Heiligsprechung, die Magdalena Sawicka auf ihrem Diptychon zeichnet.

Wie in der Kindheit schaue ich auf diesen Stich und ergreife immer und immer wieder Besitz von der Erzählung, die sich meinem Verständnis entzieht.

Dieses Mal sind die Hunde prächtig und geheimnisvoll, wie die Sphinx.



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