Die Bäuche

Łukasz Orbitowski Von Łukasz Orbitowski



Sie fahren über mich; die Metallklötze mit leeren Bäuchen, mit Lichtstreifen wie die Augen von wilden Tieren.

Ich hätte nicht darin herumschnüffeln sollen, keine Frage. Und doch habe ich nichts Schlimmes getan, ich war bloß ein Spanner, ein Stadtpornograph. Jetzt wissen sie über mich Bescheid.

Adam Patrzyk Adam Patrzyk Adam Patrzyk

So fing es an: kein Job, keine Freundin, keine Eltern, keine Kumpel, nur eine Reihe von Monitoren, drei Computer, Radios, Abhörgeräte. Alles bei mir im Keller. Ich hatte die städtische Videoüberwachung und das Polizeimonitoring angezapft. So wurde ich zum Auge und zum Gewissen der Stadt.

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Manchmal saß ich dabei dreißig, vierzig Stunden lang, um dann mit dem Kopf auf dem Schreibtisch einzunicken. Das erste, was ich nach dem Aufwachen sah, waren zwei Gläser: eins mit Kaffee, das andere voll von Zigarettenkippen.

Ich wußte alles über euch, Arschlöcher.

Wer mit wem schläft. Wer betrügt, wer ist treu, wer wichst und auf welche Vorlage, wo junge Leute trinken und dealen, wo man dreckige Wäsche abliefert, wo Ausländer sich amüsieren, ich wußte über Morde und Glasschäden. Nur für mich alleine.

Ich hätte Menschen in den Knast schicken, erpressen, einen armen Schlucker zum Millionär machen und einem Millionär einen Bettelstab geben. Hab ich aber nicht. Und dann, plötzlich, sah ich sie. Die Straßenbahnen.

Auf Satellitenbildern hatte ich die ganze Stadt in Sicht: die Fäden von Straßen, die Dächer von Häusern, den menschlichen Plankton. Auf den Gleisen, aus meiner Perspektive haardünn, flitzten die Straßenbahnen. Ungefähr hundert. Sie glitten, stoppten, durch sie strömten die Pünktchen von Fahrgästen.

Bis sie stehen blieben. Alle. Für etwa zehn Sekunden. Ich dachte, man habe den Strom ausgeschaltet, aber dann setzten sie sich sofort wieder in Bewegung.

Seitdem pflegten sie, regelmäßig anzuhalten, dafür aber alle auf einmal, an seltsamsten Orten. Mitten auf leeren Straßen, auf Brücken, zwischen Feldern. Es sah unheimlich aus – sie erstarrten synchron, ich konnte schwören, dass sie zitterten.

Unfaßbar, warum alle in einem Augenblick. Durchschläge auf der Strecke? Ein Streich der Motorführer? Ich habe es überprüft, die Stromversorgung war in Ordnung. Und dann begannen Menschen zu verschwinden.

Eine Straßenbahn, vom Satelliten gesehen, hat die Maße einer langen Triebfeder, ein Mensch ist nur ein Tüpfelchen. Abends wachte ich und beobachtete die Strecke der letzten Acht, sie raste leer zwischen Häuserblöcken, kaum an den Haltestellen verlangsamend. Bis ein Typ eingestiegen ist. Die Acht erreichte das Depot, der Typ ist aber nicht ausgestiegen. Ich starrte nur blöd. Habe ich etwas übersehen? Vielleicht das Auge zugedrückt und er ist gegangen?

Meinem ganzen Krimskram fügten sich ein Taschenrechner und ein großes Notizbuch hinzu. Ich fing an zu zählen, wieviele ein- und ausstiegen, nahm alles auf, um es nochmal zu durchgehen. Die Vier, die Acht, die Drei und die Zweiundzwanzig, ich konnte kaum schlafen, versuchte zu glauben, dass die Müdigkeit mir die Sinne raubte und das, was ich sah, nicht wirklich war.

Aber auch im Schlaf träumte ich von Straßenbahnen.

Menschen verschwanden tagtäglich und in aller Stille.

Es sind vierundzwanzig eingestiegen, ausgestiegen ist einer weniger.

Manchmal gingen in der ganzen Woche zehn verloren, manchmal keiner. Drei Monate lang schaute ich zu. Ich erstellte eine Verschwundenenkarte, Diagramme, die zeigten, dass es immer mehr Opfer gab. Ich rannte, wohin ich nur konnte, um alle zu warnen. Zum Fernsehen, zur Polizei, zu den Zeitungen.

Ein Glück, dass sie mich nicht gleich in die Klapse steckten. Vielleicht hätte ich jemanden überzeugen können, wenn ich sagen könnte, woher ich all das wußte.

Ich kehrte in meine Wohnung zurück, vor diese schrecklichen Monitore, starrte auf jene Punkte, die in den Straßenbahnen verschwanden, um nie wieder rauszukommen. Mütter mit Kindern. Besoffene. Verspätete Fahrgäste. Oder Menschen aus der Menge, in die Straßenbahn sind einige Dutzend eingestiegen, dort drängten sie sich, ans Ziel kamen ein, zwei weniger. Am schlimmsten war die Stille. Nur der Computer summte, mein Kopf platzte vor dem Geschrei der Sterbenden.

Und jetzt haben sie auch mich erwischt.

Es war vier Uhr, ich ging zurück nach Hause von der Nachtschicht, quer durch das Rondo. Sie tauchten plötzlich auf, von allen Seiten. Wie fanden sie hierher? Sie sollten doch in den Bunkern des Depots stehen.

Ich versuchte zu fliehen, sie schlossen mich in die Zange. So unwirklich, metallisch, tot, aber zugleich über jede Vorstellung lebendig. Die Lichter der Scheinwerfer beobachteten mich, die Ungetüme blockierten jede Bewegung. Alle Türen öffneten sich gleichzeitig.

Ich atmete tief und stieg ein.

***

Jetzt fahre ich durch die dunkle Stadt, mich durchdringt das Surren der Maschine. Keiner führt diese Straßenbahn, ich bin allein auf den Gleisen. An der Decke laufen elektrische Adern, irgendwo unter mir schlägt das metallene Herz.

Sehr langsam verschmilzt meine Hand mit dem Sessel, mein Rücken ist daran angewachsen, im Mund ein deutlicher Stahlgeschmack, meine Gedanken verlieren sich langsam, indem sie sich ins Geklopfe der Räder verwandeln, meine Augen glänzen, ich kann den Kopf noch umdrehen, in der Scheibe sehe ich mich selbst, wie ich von innen schrumpfe, mein letzter Gedanke, gerade jetzt, ist – was wird aus mir, wenn mich diese Maschine auffrißt.

Kein Bedauern, nichts.

Nur ein Schimmer Hoffnung, dass irgendwann irgendjemand in die Glasscheibe einer Abendstraßenbahn schaut und einen verwaschenen Fleck wahrnimmt, die Spur meines Gesichts.

Ende



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    • Trams

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