Keiner da

Bogusław Deptuła Von Bogusław Deptuła

Keiner da. Dieser Satz wiederholt sich wie ein Refrain auf mehreren hundert Seiten des Romans „Leben. Gebrauchsanweisung” von Georges Perec. Häufig ist es leer in den detailliert beschriebenen, mit Gegenständen gefüllten Wohnungen. Nein, nicht leer: es gibt jede Menge Gegenstände, aber keiner ist da.

Adam Patrzyk

Auf den Bildern von Adam Patrzyk, die keineswegs als Illustrationen zum Perecs Roman entstanden sind, ist es auch nicht leer – nur keiner ist da. Manchmal gibt es viele Gegenstände. Sorgfältig ausgesucht, erschaffen sie eine nostalgische Atmosphäre des Verlassenseins, der Abwesenheit, des Schwebezustandes. Es ist selbstverständlich, daß keiner hier reinkommt; nichtdestotrotz kann die aufdringliche Anwesenheit von Gegenständen hoffen lassen, daß vielleicht doch irgendwann jemand erscheinen wird. Aber die Anwesenheit, egal von wem, ist unmöglich und unnötig. Sie würde einer Vergewaltigung an diesen leeren Räumen gleichen, in denen die Farbe und das Licht ungeteilt regieren. Patrzyk malt die Landschaften der Abwesenheit.

Adam Patrzyk

Der in seinem Wohnungsatelier Eingesperrte schaut durch das Fenster. Er schaut oft hin. Vor dem Fenster eines ziemlich typischen kommunistischen Wohnblocks, 50 Meter weiter, steht ein dreistöckiges Haus. Eigentlich nichts Besonderes. Der graue, abfallende Putz entblößt eine Mauer aus Kalkquadern. Die Fenster haben Einrahmungen aus rotem Ziegel. Der Zustand des Gebäudes ist nicht einwandfrei. Und es ist auch besser so, denn die Details sind sichtbar und machen das Haus sympathisch. Sie bewirken, daß es ein wenig wie nicht von hier aussieht (obwohl man weiß, daß man in dieser Gegend recht oft auf Stein zurückgriff). Aber noch symphatischer ist, daß dieses Haus eine ständige Inspiration für die Bilder von Adam darstellt. Ich weiß nicht, ob es stimmt, trotzdem kann ich es mir leicht vorstellen, wie er abends oder nachts aus dem dunklen Zimmer das sich ändernde Lichtspiel, die Laterne vor dem Eingang, das Zuziehen der Vorhänge, das gewöhnliche Leben der Menschen von gegenüber beobachtet. Aber auf den Bildern ist keiner da.

Adam Patrzyk

Umso besser. Bei Edward Hopper, dem amerikanischen Realisten und Patrzyks großem Meister, sieht man noch Menschen. Sie sind einsam, sogar unter ihresgleichen, sehr einsam. Natürlich ist es undenkbar, daß auf den Bilder von Adam plötzlich Menschen erscheinen. Es ist ausgeschlossen. Was könnten sie tun? Sie hätten alles kaputt gemacht. Die Häuserwände mit Fensterläden, zahlreiche Arkaden lassen vermuten, daß Adam in Italien war. Nein, er war dort nie, aber er kennt die Bilder von Giorgio de Chirico, und es genügt. Es gibt hier viele Elemente, die wie den Bildern anderer Surrealisten entnommen wirken. Seltsame, unerwartete Begegnungen von Objekten, die in für sie untypischen Orten auftauchen – wie ein wenig überrascht, daß sie da erschienen sind. Die vollkommene Handhabung der Farben und, wie es scheint, eine völlige Herrschaft über sie - das ist das Erbe von Stefan Gierowski, dem akademischen Lehrer von Patrzyk.

Adam Patrzyk

Und schließlich ist da noch jemand. In Adams Wohnung habe ich zum ersten Mal kleine, schwarz-weiße Arbeiten von Andrzej Desperak gesehen, der Adam noch vor seinem Studium an der Warschauer Kunstakademie unterrichtet hat. Patrzyk selbst ist der Meinung, daß er ihm einiges zu verdanken hat. Was? Auf den ersten Blick nichts. In der Wirklichkeit jede Menge. Aber es ist schwer zu beschreiben. Es sind mit Graphit gezeichnete poetische Kompositionen an der Grenze zwischen Abstraktion und Metapher, von denen man schwer sagen kann, ob sie etwas darstellen, oder ob sie ausschließlich eine Zusammenstellung von Formen sind. Eins ist in ihnen nicht zu bezweifeln: Melancholie. Ich denke, daß Desperak in Adam Patrzyk einen großen Melancholiker gefunden hat, der eigener Visionen würdig ist.

Adam Patrzyk

In jenem Keiner da verbirgt sich das größte Paradox der Bilder von Adam Patrzyk. Weil er das Fehlen, die Abwesenheit, die Leere malt, fällt die stärkste Betonung darauf, was nicht da ist, was man nicht sieht, also auf die Menschen. Ist also tatsächlich keiner da?



Ausgewählte Werke

    • Fire escapes

      • Medium: Oil on Canvas
      • Size: 47 x 42 centimeters
      • Price: PLN 5500

    siehe das gemälde

    • Awaiting

      • Medium: Oil on Canvas
      • Size: 125 x 105 centimeters
      • Price: PLN 16000

    siehe das gemälde

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