Seejungfer

Małgorzata Czyńska Spricht Małgorzata Czyńska


Jacek Łydżba

Deswegen bringe ich Dir, Warschau,
heute ein weniger vergoldetes Buch;
Berühre es mit deiner blutigen Hand,
Nicht ein Mädel, du, nein, eine Matrone!
Dein Wappen eine verführerische Seejungfer,
Ich aber habe Ozeane durchgewandert,
und Dein Gesicht in Erinnerung behalten,
Wie Du einsam – vergessen…

Cyprian Kamil Norwid, Widmung, Fragment


Die Seejungfer hat Sie verführt.

Wie so viele Seemänner schon. Und manche Künstler auch.

Sie hat sie mit ihrem Gesang gelockt und ins Verderben geführt.

Ein süßes Verderben. Man kann sich in der verführerischen Schönheit der Seejungfer, in der Magie ihrer Weiblichkeit verlieren. Carl Jacobsen, der Sohn des Gründers der Carlsberg-Brauerei, nachdem er 1909 das Ballett „Kleine Meerjungfrau“ gesehen hat, hat sich so sehr in ihr verliebt, dass er ihre Skulptur aufstellen ließ.

Sie sind jedoch von der Kopenhagen-Meerjungfrau nicht angetan. Wenn schon eine Seejungfer, dann nur in Warschau?

Auf alle Fälle! Sie ist ein Symbol Warschaus. Sie steht im Warschauer Wappen, in den Herzen und Köpfen der Warschauer. Sie ist schön, stark und stolz. Die Kopenhagener Meerjungfrau ist nicht so. Sie scheint die Stadt zu schützen, hat aber keine Kraft, also wird ihr Denkmal öfters dem Vandalismus ausgesetzt. Sie hat ihren Kopf und dann ihren Arm verloren, ihr Gesicht wurde rot bemalt, ihre Brust mit einem Büstenhalter verdeckt. Sie hat keinen Schwert, daher ist sie wehrlos.

Jacek Łydżba

Weil sie die kleine Meerjungfrau ist, die Protagonistin des Märchens von Hans Christian Andersen. Und die Warschauer Seejungfer ist stark und gefährlich.

Am Anfang war sie unheimlich und bedrohlich, eine gefährliche Hybride vom Mensch und Tier. Nicht halb Frau, halb Fisch, sondern ein Vogel mit dem Kopf einer Frau, und früher noch halb Mann, halb Drachen. Das Bild der Frau, die halb Fisch ist, ist also ganz jung, stammt aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts. Im Laufe der Jahre wurde die Seejungfer sanfter und schöner. Ihre Sanftheit ist aber scheinbar. Die Seejungfer ist sinnlich, sie ist der Ausdruck verhohlener Sehnsüchte und erotischer Phantasien. Ohne ein Netz komm ihr nicht zu nahe.

Sie lieben die Warschauer Seejungfern. Besonders die auf dem Altstadtmarkt.

Ehrlich gesagt, habe ich sie mir erst vor kurzem angesehen, und habe mich gleich in sie verknallt. Ich liebe Warschau, das ist meine Stadt. Ich habe ihre Landschaften, Kirchen und Theatergebäude, architektonische Details, Skulpturen im Sächsischen Garten, die Mutter Gottes vor der St. Anna-Kirche gemalt. Vor einem Jahr, während eines Spaziergangs auf dem Altstadtmarkt, bin ich ein paar Mal um den Brunnen mit der Seejungfer herumgegangen. Mein Vater ist Bildhauer, ich bin also gewöhnt, Skulpturen aus allen Seiten zu betrachten. Die Seejungfer von Konstanty Hegel ist ausgezeichnet, hat gute, ausgeglichene Proportionen. Und darüber hinaus ist ein schönes Mädchen – mit netten Brüsten und einem genialen Po. Es ist wunderbar, dass der Schwanz unter den Hinterbacken anfängt.

Sie ist eine Melusine. Sie taucht aus schaumigen Wellen auf.

Sie kann schwimmen, tauchen. Sie ist stark, hat eine Waffe. Und verbirgt ein Geheimnis, das jeder Mann entdecken möchte.

Von anderen Seejungfern in Warschau sind Sie nicht so begeistert, um sie zu malen. Ist die Seejungfer von Ludwika Nitschowa zu majestätisch?

Sie scheint mir zu grob, wenig weiblich. Was mich eigentlich wundert, weil das Modell verblüffend schön war.

Jacek Łydżba Jacek Łydżba

1937 diente für Nitschowa als Modell eine wunderschöne Studentin der Ethnographie und Dichterin Krystyna Krahelska. Die Künstlerin beschrieb sie so: Das von mir gemeißelte Gesicht der Warschauer Seejungfer ist das Gesicht von Krystyna, monumentalisiert, damit Krysia nicht so einfach auf der Straße zu erkennen ist, was ihr vielleicht peinlich wäre. Weil sie durch Warschauer Straßen gegangen ist, gerade, hoch, mit einem Lächeln der inneren jugendlichen Freude und Kraft strahlend, zu allem bereit, was ehrlich, gerecht und schön ist. Krystyna ist die Autorin des Textes zum Lied „Hej, chłopcy, bagnet na broń“ [Hej, Jungs, das Bajonett auf die Waffen]. Während des Warschauer Aufstands diente sie als Sanitäterin. Sie erhielt einen Streifschuss, wenn sie einen Freund rettete. Sie ist am 2. August gestorben.

Sogar Seejungfern sterben jung. Die Geschichte von Krahelska in Verbindung mit dem Denkmal der Seejungfer, für das sie als Modell diente, ist ein Symbol der Geschichte Warschaus. Genau das an der Seejungfer zieht mich an – diese Kombination der Kraft, Determination und der tief versteckten Zerbrechlichkeit und Tragik.



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