Partituren für Menschen

Bogusław Deptuła Von Bogusław Deptuła



Das Feld, vor dem Du stehst, scheint dieselben Proportionen zu haben wie dein eigenes Leben.1

John Berger

Der Titel mag etwas ungeschickt erscheinen. Mit dieser Umbequemlichkeit einverstanden entscheide ich mich jedoch für ihn, und zwar wegen der doppelten Nützlichkeit.

Erstens: die formelle Strenge der Musikaufzeichnung kommt Mikołaj Kasprzyks Bedürfnis entgegen, das Chaos der Welt zu ordnen. In seinen Werken fädelt der Maler die Figuren auf die horizontale, durch das Format des Bildes erzwungene Linie. Es spielt keine Rolle, ob jene Figuren sich in einer die Natur nachahmenden, aber äußerst konventionellen Landschaft oder auf einem etwas abstrahierteren, einheitlichen, glatten und flachen Hintergrund wiederfinden. Man bemerkt, daß der Künstler nach Systematisieren, Ordnung, Harmonie strebt.

Mikołaj Kasprzyk Mikołaj Kasprzyk Mikołaj Kasprzyk Mikołaj Kasprzyk Mikołaj Kasprzyk

Der zweite Grund, warum das Wort „Partitur” nützlich ist, um das zu beschreiben, was wir auf den Bildern von Kasprzyk sehen, ist, daß der Maler die Gestalten seiner Bilder veranlaßt, Rollen zum spielen. Situationen, in die er die kleinen Menschenfiguren bringt, bedeuten eine Art Aufgabe, die zu bewältigen ist. In einem gewissen Sinne behandelt er seine Helden sehr instrumental, er benutzt und verläßt sie in einer angedeuteten, nicht ganz freundlichen Landschaft. Man weiß eigentlich nicht, ob es ihnen in dieser Umgebung gut geht und ob es ihnen paßt, diese für Menschen nicht immer bequemen, aus dem Bildthema resultierenden Arbeiten auszuführen.

Musik als Bezugsystem

Mikołaj Kasprzyk verheimlicht nicht, daß er die Musik, die Welt der geordneten Klänge, für eine viel vollkommenere und bessere als die Welt der Malerei hält, mit der er sich seit so langem befaßt. Er geht nicht so weit, sich der Musik zu widmen, weil er genau weiß, daß wenn er als Profi in ihrer Welt dauerhaft bliebe, jene für ihn den Vorzug der Vollkommenheit verlöre. Diese ideale Welt von der Harmonie der Klänge sollte lieber etwas unzugänglich bleiben. Sie wäre ein Punkt der Orientierung und der besten Vergleiche für das Reden über die Malerei. Man kann hier keine utopische Ordnung der Synästhesie, jenes verlockenden Glaubens an unvermeidbare Beziehungen der unterschiedlichen Künste, etablieren. Rimbaud war derjenige, der die Farben der Klänge gesehen hat - diese Überzeugung ist mit uns für immer geblieben, obwohl jeder es ein wenig anders aufschreiben würde. Vielleicht kann man in der Zukunft Mikołaj überreden, etwas Ähnliches zu machen, aber ich fürchte, daß er nur einige Klänge gemalt und den Rest beiseite gelassen hätte.

Beruhigung und inkonsequente Symmetrie

Eine solche Einschränkung der Malerpalette ist ein Schritt mit großen Konsequenzen für die Bilder. Es gibt hier eigentlich keine Kontraste. Es gibt eher ein unerträgliches Fehlen jeglicher Spannung. Auch wenn die Helden ihre seltsamen Aktivitäten weiterhin verrichten, geschieht dies unabänderlich in Ruhe. Die Veränderung, die sich unumkehrbar in den Bildern von Kasprzyk vollzieht, besteht in einer immer größeren Vereinfachung der Motive. Man kann sagen, daß der Bereich des Gewöhnlichen sich unwiderruflich erweitert. Noch vor einigen Jahren trugen Kasprzyks Männchen Eier auf Löffeln, aßen mit Mühe an den Bäumen hängende Äpfel, spazierten auf dem Seil. Jetzt erledigen sie immer öfter durchaus alltägliche, durchschnittliche, ja banale Tätigkeiten. Ist es so besser? Schwer zu sagen. Aber es ist ein sicherer und bemerkbarer Wandel im Vergleich zu den Werken, die vor einigen Jahren entstanden sind. Dazu kommen noch immer mehr musikalische Motive, was zeigt, daß die Musik für Kasprzyk immer wichtiger wird. Es soll nicht verwundern, denn der Raum um ihn ist sehr prall gefüllt mit Noten, meistens aus dem Mittelalter oder Barock.

Hätte man ihn gefragt, wie man ein gutes Bild malen soll, könnte er keine Antwort geben, aber mit Sicherheit würde er empfehlen, gute Musik zu hören, weil das beim Malen sehr hilfreich ist.

Kasprzyk sagt, daß auf seinen Bildern, so wie in der Musik mancher Komponisten, eine Art inkonsequente Symmetrie herrscht. Jenes unvollkommene Gleichgewicht, das beim Malen besonders wünschenswert ist. Das Bild Trąbki - die Hafenszene von Aleksander Gierymski zeigte, nachdem es geröngt worden war, seine komplizierte Natur - zur Überraschung der Forscher. Es hat sich erwiesen, daß Gierymski im ganzen Bild die schwarzen Figuren der betenden Juden mehrmals hin- und hergeschoben hat, wie schwarze Notenzeichen. Er suchte nach jener nichtmusikalischen Nichtsymmetrie, die eine finale Vollkommenheit des vollendeten Werkes gegeben hätte.

Ganz deutlich macht sich Mikołaj Kasprzyk diese Aufgabe leichter: die Figuren befinden sich entweder auf einer Linie oder auf mehreren horizontalen Streifen. So kann man das menschliche Durcheinander besser beherrschen.

Landschaft mit Schloß, ohne Kondottiere

Schelf eines Feldes, grün, mühelos greifbar, noch ohne hochgewachsenes Gras, eingeschlagen in papierblauen Himmel, der gelb durchwachsen ist, weil reines Grün entstehen soll, die Oberflächenfarbe von dem, was das Becken der Welt enthält, wartendes Feld, Schelf zwischen Himmel und Meer, gegenüber einem Vorhang aus gedruckten Bäumen, mit zerbröckelnden Kanten, gerundeten Ecken [...] Feld, das ich immer gekannt habe, ich liege da, auf einen Ellenbogen gestützt, wundere mich, ob ich in irgendeiner Richtung über dich hinaussehen kann. Der Draht, der dich umgibt, ist der Horizont2. Vielleicht ist das keine ideale Charakterisierung einer Landschaft von den Bildern Mikołajs, aber man muß doch zugeben, daß die allgemeine Disposition des Raumes, über den Berger in seiner imaginierten Schilderung des idealen Feldes schreibt, mit der szenographischen Einfachheit der Bilder von Kasprzyk verwandt ist. Die Quellen dieser Vorstellungen, obwohl ganz anders, sind nicht weit voneinander entfernt. Festlegen der ursprünglichen Ordnung, Trennen des Himmels und der Erde und die Sicht eines liegenden Menschen – das ist überaus zutreffend. Ich weiß nicht, wo Mikołaj Kasprzyk seine Kindheit verbracht hat, aber es scheint mir, daß er auf einem ähnlichen Feld liegen konnte wie dieses, an welches sich John Berger erinnert oder welches er im Gedächtnis oder in der Phantasie erschafft. Obwohl der Letztere, wie es sich für einen Schriftsteller schickt, mehr Details einbringt. Er ist penibel, was man über Kasprzyk absolut nicht sagen kann.

Ein anderer Schriftsteller, der in seinem lakonischen Stil Kasprzyk mehr ähnelt, könnte die Landschaft in einem seiner Bilder beschreiben: Die Landschaft ist trocken wie eine Tenne. Kein Baum, kein Gras, nur nackte Stöckchen des Verhaus und zarte Blumen der kriegerischen Zeichen. Zur Linken wie zur Rechten auf dem Fresko, auf den Gipfeln zweier Berge das magere Mauerwerk von Schlössern. Das zur Linken ist Monte Massi, dessen Besitzer gegen Siena rebelliert hatte. Kein Zweifel, Guidoriccio wird diese Mauern brechen und die Türme in Schutt legen3.

Das ist ein Fragment aus Ein Barbar in einem Garten von Zbigniew Herbert, gewidmet der Malerei aus Siena. Er beschreibt ein großes Fresko von Simone Martini in Palazzo Publico, dem Rathaus in Siena, das Guidoriccio da Fogliano, einen Kondottiere im Dienst der Stadt darstellt.

In der Tat gibt es hier viele gegenseitige Ähnlichkeiten, um die sich Mikołaj Kasprzyk in seinen Bildern bemüht. Gedämpfte Koloristik, leere Landschaften und darin stehende Schlösser. Manchmal wird ein Schloß von einem künstlich angelegten spiralen Berg ersetzt, der dem Turm von Babel gleicht, manchmal füllen einzelne Bäume den Raum der Landschaften. Kasprzyk gibt zu, daß die alte Malerei, insbesondere die Freskos, für ihr unübertroffenes Ideal bedeuten. Dasselbe betrifft seine Vorliebe für Predellen, die langen und schmalen Altarbilder, auf denen mittelalterliche Maler weniger wichtige Episoden aus dem Heiligenleben zeigten, die nicht mehr in die Hauptdarstellung auf dem Altar paßten. In den kleinen Szenen blieben das Leben und der Charakter erhalten und oft arbeitete man da nach sehr unkonventionellen Methoden. Es wundert nicht, daß Mikołaj Kasprzyk sich in Museen eben von solchen Bildern am meisten angezogen fühlt und daß er in seinen Werken etwas von der Atmosphäre dieser alten Kammerszenen wiedergeben will.

Ich zweifle, also... male ich wie Kasprzyk

Zuletzt muß man sagen, daß das, was Kasprzyk zur Zeit in seinen Bildern macht, ein ernstes künstlerisches und intellektuelles Unternehmen ist, das jedoch von ihm selbst sehr konsequent in Zweifel gezogen wird. Jenes Infragestellen von eigenen Bildern ist für ihn genauso wichtig wie deren Malen. Wenn ich mir seine Arbeiten anschaue, habe ich, da ich ihn selbst kenne, den Eindruck, dauernd zu hören: „Das war nur ein Scherz”, denn Mikołaj balanciert unaufhörlich an der Grenze zwischen Ernst und Ironie. Die Flucht vor dem Ernst ist gleichzeitig eine Flucht davor, für die Bilder Verantwortung zu übernehmen. Denn es ist immer sicherer, unter der Etikette eines Ironikers statt eines Moralisten Schutz zu suchen. In der Tat möchte Kasprzyk für sich um jeden Preis den Posten eines unabhängigen Beobachers behalten, die ihm die Möglichkeit gibt, heimlich zu observieren und zu kommentieren.

Von Bacon zu Memling, also Das Jüngste Gericht ohne Gott

Zu seinen aktuellen Bildern ist Mikołaj Kasprzyk auf einem seltsamen und nicht eindeutigen Weg gekommen. In der Warschauer Kunstakademie hat er in Ateliers von realistischen Malern - Ludwik Maciąg und dann Michał Bylina - angefangen. Bei Bylina war er gezwungen, manches patriotisch-staatstragendes Thema zu malen, am besten mit der polnisch-sowjetischen Freundschaft im Hintergrund. Er hat dieses Atelier ausgesucht, weil seine Freunde auch da waren. Das Diplom hat er jedoch bei Jacek Sienicki erworben, einem düsteren Expressionisten, der sich der Abstraktion näherte. So hat auch Kasprzyk angefangen, düstere und abstrakte Bilder zu malen, in den Schwarz, Grau und Blau überwogen. Er ist an der Kunstakademie geblieben, wo er 12 Jahre lang arbeitete. Ende der 80-er erfolgte in seinen Werken eine dramatische und vollständige Verwandlung: die Welt der künstlerischen Abstraktion wurde durch die Beobachtung der Wirklichkeit ersetzt. Die Helden dieser Bilder erledigten seltsame Tätigkeiten, sie waren bezüglich Aussehen und Farben provokativ unschön, sogar erschreckend. Es waren keine optimistischen Darstellungen, aber die Abstraktheit dieser Situationen hatte auch etwas Ansprechendes. Wie eine metaphorische Beschreibung der tristen Wirklichkeit des kommunistischen Polens, das gerade verging, aber noch ziemlich frisch und quälend war. Danach wurden die Gestalten auf seinen Bildern einer konsequenten Verkleinerung unterzogen und die dargestellten Themen ließen die Inspirationen u.a. durch die Figuren aus dem berühmten Danziger Bild Das Jüngste Gericht von Hans Memling erkennen, das Mikołaj Kasprzyk lange faszinierte. Allmählich wurde die Tonart seiner Bilder immer heller und, scherzhaft gesagt, italienische Einflüsse setzten sich durch. Jetzt aber gewinnen französische Einflüsse an der Bedeutung, denn in der letzten Zeit führten die Routen seiner künstlerischen Reisen nach Frankreich. Im Hintergrund der Szenen mit Menschen werden also regelmäßige französische Gärten und Variationen über die dortige Architektur erscheinen.

***

Am Ende wollen wir wieder Zbigniew Herbert zitieren, diesmal sein Stilleben mit Kandare: Sowohl das Publikum als auch die Holländer, die im 17. Jahrhundert über Kunst schrieben [...] stellten an die Spitze der Gattungen sogenannte „Historien”, das sind figurative Kompositionen4. Auch bei den Bildern von Mikołaj Kasprzyk können wir, ohne Angst, ein Fehler zu machen, über Historien reden. Ich weiß nicht, ob es bedeutet, daß sie auch heute an der Spitze der künstlerischen Hierarchien stehen, aber unveränderlich ziehen sie den Blick der Zuschauer an. Ich jedoch denke über diese Historien wie über Partituren.


Anmerkungen

  • 1 J. Berger, Das Leben der Bilder oder die Kunst des Sehens, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 1981, S. 143
  • 2 ebenda, S. 139
  • 3 Z. Herbert, Ein Barbar in einem Garten, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1996, S. 93-94
  • 4 Z. Herbert, Stilleben mit Kandare, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1994, S. 38-39


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