Tod. Zwischen Heldentum, Straftat und Krankheit

Justyna Ziółkowska Von Justyna Ziółkowska



Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage.

William Shakespeare, Hamlet, Übers. August Wilhelm von Schlegel

Der berühmteste Monolog der Literaturgeschichte betrifft den Selbstmord. Die Popularität der Rede Hamlets, die er in der traditionellen Darstellung an den in der Hand gehaltenen Schädel richtet, zeugt von der fortdauernden Aktualität der Reflexion über das Leben und den selbst zugefügten Tod. Die ambivalente Haltung zur Selbstzerstörung, bei dem Prinzen von Dänemark spürbar, kann man an die im Laufe der Jahrhunderte vorherrschende soziokulturelle Einstellung gegenüber dem Selbstmord und dem Selbstmörder beziehen. Denn im Allgemeinen wurden die Selbstmörder als feige Verbrecher dargestellt, aber es gab auch Situationen, in denen sie zu gefeierten Helden mutierten.

Das am häufigsten zitierte Beispiel des Selbstmordes als Manifestation von Heldentum sind die japanischen Kamikaze-Piloten, die während des 2. Weltkrieges todesverachtende Angriffe auf amerikanische Ziele durchführten. Die Kombination von Freitod, Würde, Ehre und Heldentum ist aber nicht nur Domäne der japanischen Kultur, in der das Selbstmordritual Seppuku (oder, für Frauen, Jigai) eine weit verbreitete Methode für den ehrenvollen Ausgang aus einer schwierigen Lage war. Selbstmordkommandos sind auf der ganzen Welt bekannt. Auch in Polen, am Vorabend des 2. Weltkriegs, bildete man die "lebenden Torpedos" aus: es war eine Gruppe von Freiwilligen, die für den Fall der Aggression des Dritten Reiches gegen Polen bereit waren, Aufgaben mit selbstmörderischem Charakter zu übernehmen. Laut Quellen erklärten sich 4700 Personen dazu bereit. Aber, anders als in Japan, hat man von dieser Möglichkeit nie Gebrauch gemacht.

Die Gründung der polnischen "lebenden Torpedos" wirft Fragen auf, insbesondere im religiösen Kontext. Denn während die japanischen Religionen, Buddhismus und Shintoismus, Selbstmörder nicht verurteilen, sieht die katholische Kirche jede Form von Freitod als Sünde an. Auch wenn man die Anfänge des Christentums als eine Epoche sieht, in der sich Gelegenheiten zu selbstmörderischen Taten geradezu anboten - der Tod war ja die ersehnte und gesuchte Befreiung von irdischem Übel und der Weg, das ewige Glück zu erreichen (vgl. Hołyst 2012; Hołówka, 2001) -, galten bereits im 5. Jahrhundert, dank dem heiligen Augustinus, selbstvernichtende Handlungen als Verstoß gegen das Gebot "Du sollst nicht töten" und der Suizid zählte zu den Todsünden. Der Argumentation von Augustinus schloss sich dann der heilige Thomas von Aquin an, der ergänzte, dass ein Angriff auf das eigene Leben nicht nur ein Frevel gegen Gott, sondern auch gegen das Naturgesetz und gegen die Selbstliebe ist und einen Schaden für die Gesellschaft darstellt (Hecht, 2013). Infolge dessen hat man die Selbstmörder eher als Täter als als Opfer betrachtet (Minois, 2001; Marsh, 2013).

Łukasz Huculak

Die Einstellung der Kirche zur Selbsttötung manifestierte sich auch im Umgang mit den dadurch verstorbenen Personen. Dass ihnen das Begräbnis verweigert wurde, war nur ein Teil der Strafe. Verbreitet war darüber hinaus die Schändung der Leichen: sie wurden u.a. auf dem Scheiterhaufen verbrannt, nackt durch die Straßen gezogen, zerteilt der Öffentlichkeit präsentiert, mit Stangen durchbohrt und an Straßenkreuzungen beerdigt, um der Seele des Toten die Orientierung in der Gegend zu erschweren (mehr in: Hołyst 2012; Minois, 2001). Wie Minois erwähnt (2001), wurde dieses Procedere in Europa relativ lange praktiziert: die neulich in der Literatur erwähnten Berichte zum Thema nennen das Jahr 1749 in Paris und 1823 in London.

Diese zwei gegensätzlichen Metaerzählungen über den Selbstmord - Verherrlichung und Verdammung - scheinen heute zunehmend aus dem Diskurs verdrängt zu werden. Der Suizid hört auf, ein rechtliches oder moralisches Problem zu sein und wird stattdessen zu einer Frage der Gesundheit. Dass aus dem öffentlichen Raum systematisch Texte verschwinden, die als Verurteilung oder Apotheose der Selbsttötung gelesen werden könnten, geht mit der Verbreitung der These einher, mit einem rein psychischen Problem zu tun zu haben.

Die ethischen Regelwerke, herausgegeben sowohl von Organisationen zur Suizidprävention als auch von Journalistenverbänden, empfehlen, weder Fotos noch Beschreibungen von Selbstmordmethoden zu veröffentlichen: all das, um den sogenannten Werther-Effekt zu vermeiden, denn derartige Publikationen könnten einige Leser dazu verleiten, die Tat zu wiederholen. Darüber hinaus aber werden zunehmend auch alle Texte zensiert, die als Glorifizierung oder Ächtung des Freitodes gelten könnten. In der heutigen Zeit werden Selbstmörder als psychisch Kranke dargestellt. Ein solches Profil tritt vor allem in psychiatrisch-psychologischen Publikationen auf, in denen eine psychische Krankheit eine Voraussetzung für die Selbsttötung ist (z.B. Mościcki, 1997; Jamison, 2004; Harris und Barraclugh, 1997). Das medikalisierte Bild vom Suizid kommt auch in den Medien sowie in den Berichten von Regierungsbehörden und NGO's vor. Gleichermaßen haben die Weltorganisation für Gesundheit (WHO), die Weltorganisationen für Suizidologie (www.iasp.info; www.suicidology.org) und die NGO's (www.befrienders.org) die psychiatrische Sicht auf das Suizidverhalten übernommen.

2013 wurde diese Auffassung zusätzlich unterstützt: durch die Eintragung des Suizidverhaltens (eng. Suicidal Behavior Disorder) ins DSM-5, das Klassifikationssystem von psychischen Störungen, veröffentlicht von der Amerikanischen Gesellschaft für Psychiatrie (APA, American Psychiatric Association, 2013). Das Suizidverhalten erschien in der Sektion "Zustände vorgesehen für weitere Forschung", in der Vorschläge für die künftigen Krankheitsbilder abgelegt werden. Es handelt sich um die Erkrankungen, für die zwar diagnostische Kriterien existieren, die aber in der klinischen Praxis nicht angewendet werden können. Das Vorhandensein dieser Krankheitsbilder soll die Diskussion anregen und weitere Forschungen anstoßen, welche erlauben, die Spezifik des Problems besser zu verstehen, und den Autoren des Systems die Entscheidung erleichtern, das jeweilige Krankheitsbild eventuell in die Sektion der anerkannten Verhaltensstörungen zu verschieben. Das gilt als der erste Schritt, das Suizidverhalten zur psychischen Störung zu erklären.

Psychologen und Psychiater streiten über systemische Vorteile der Ausgliederung des Suizidverhaltens als Krankheitsbild und halten einander Ergebnisse von Studien vor, die eine Verbindung zwischen Suizidfällen und psychischen Störungen nachweisen - oder auch nicht. Paradoxerweise - um Menschen vor dem Selbstmord zu schützen - wird der Letztere von der Amerikanischen Gesellschaft für Psychiatrie medikalisiert und die Suizidgefährdeten mit dem Stigma einer psychischen Krankheit belastet. Bei der Betrachtung des Suizidverhaltens als psychische Störung lokalisiert man die Ursache im Einzelnen selbst: also weder die Umwelt noch die Umstände, sondern nur der gestörte Geist wird zunehmend für alles verantwortlich gemacht. Das einzige Adjektiv, das das Phänomen wahrscheinlich begleiten wird, lautet also "krank".

Vielleicht ist es tatsächlich "krank"? Vielleicht haben die Forscher recht, die das Suizidverhalten als ein rein medizinisches Problem betrachten? Die psychologischen Modelle betonen die Schlüsselrolle des mentalen Zustandes; nach den Psychologen spielen die psychologische Erfahrung von Schmerz und der damit einhergehende Geisteszustand beim Suizidverhalten eine entscheidende Rolle. Der Selbstmörder wird als eine Person beschrieben, die leidet und in ihrer Situation nur eine Lösung sieht - sich selbst zu töten. Wie der Vater der Suizidologie Shneidman schrieb, ist "das gefährlichste Wort in der ganzen Suizidologie das Wort "nur" (eigene Übersetzung nach: Shneidman, 1996, S. 59). Denn zu den Selbstmordversuchen kommt es, wenn die psychisch leidende Person davon überzeugt ist, der Selbstmord sei ihre einzige Wahl und Möglichkeit.

Provokativ könnte man fragen, ob ein gesunder Geist bewusst und bereitwillig das Ende seines Lebens herbeisehnen kann. Leider gibt es auf diese Frage keine Antwort. Die Erfahrungen der durch Selbstmord Verstorbenen bleiben aus offensichtlichen Gründen ubekannt. Wir kennen Berichte von Überlebenden, was kaum erlaubt, die psychische Welt von Menschen zu erkunden, welche bei ihren Suizidversuchen Tod gefunden haben.

Das fehlende Wissen darüber, was Menschen motiviert, sich selbst zu töten, hindert uns jedoch nicht daran, ein solches Verhalten zu analysieren. Einige von uns werden darin den Beweis für die pathologische Natur derartiger Absichten sehen; andere, die die jeweilige Lebensgeschichte und den größeren Zusammenhang der Entscheidung zum Suizid kennen, werden den Wunsch nach der Selbsttötung verstehen. Je nach Ansichten, Erfahrungen und Wissen kann derselbe Selbstmordakt eine respektable Entscheidung oder eine Manifestation von psychischen Störungen darstellen. Was der Wahrheit entspricht, weiß keiner von uns.


ZITIERTE LITERATUR:

  • APA, American Psychiatric Association. (2013). Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5th ed.). Arlington, VA: American Psychiatric Publishing.
  • Harris, E. C., Barraclough, B. (1997). Suicide as an outcome for mental disorders. A meta-analysis. The British Journal of Psychiatry, 170(3), 205-228.
  • Hecht, J. M. (2013). Stay. A history of suicide and the arguments against it. New Haven: Yale University Press.
  • Hołówka, J. (2001). Etyka w działaniu. Warszawa: Prószyński i S-ka.
  • Hołyst, B. (2012). Suicydologia. Warszawa: LexisNexis.
  • Jamison, K. R. (2004). Noc szybko nadchodzi: zrozumieć samobójstwo, by mu zapobiec. Poznań: Wydawnictwo Zysk i S-ka.
  • Marsh, I. (2013). The Uses of History in the Unmaking of Modern Suicide. Journal of social History, 46(3), 744-756.
  • Minois, G. (2001). History of suicide: Voluntary death in western culture. Baltimore: Johns Hopkins University Press.
  • Mościcki, E. K. (1997). Identification of suicide risk factors using epidemiologic studies. Psychiatric Clinics of North America, 20(3), 499-517.
  • Shneidman, E. S. (1996). The suicidal mind. New York: Oxford University Press.

Justyna Ziółkowska

Ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Geisteswissenschaften der Universität für Sozialpsychologie in Wrocław und Mitglied der Akademie der Jungen Wissenschaftler und Künstler. Ihre Forschungsinteressen konzentrieren sich auf die Analyse des Diskurses über medizinische Therapien, Erfahrung der psychischen Erkrankung sowie Suizidgedanken und -verhalten. Sie ist Verfasserin und Mitverfasserin von wissenschaftlichen Artikeln, veröffentlicht unter anderem in Health: An Interdisciplinary Journal for the Social Study of Health, Illness and Medicine, Qualitative Health Research sowie Qualitative Inquiry. Der Verlag PWN veröffentlichte gerade ihre Monographie Samobójstwo. Analiza narracji osób po próbach samobójczych (Warszawa, 2016).



Ausgewählte Werke

alle bilder ansehen