Eine irrationale Lust am Malen

Dariusz Suska Von Dariusz Suska

Na bitte sehr, die Welt gibt es noch. Es gibt den Markt in Łowicz und die Pfarre in Klimontów. Es gibt Dąbrowka und, was ich mir vorher überhaupt nicht vorstellen konnte, es gibt Warschau. Ich dachte, alles sei schon verschwunden. Ich stellte mir vor, wir seien in einer Zeit noch vor der Schöpfung, es gebe keine Krakowskie Przedmieście, sondern nur noch einen See, gefüllt mit gluckerndem Teer des Chaos. Nur noch das Big-Brother-Haus, einen gigantischen Telecomputer im Meer der Leere, umgeben von Millionen körperlosen Augen. Wir seien nur noch die Ausstrahlung kristallflüssiger Bildschirme der neuesten Generation. Wir säßen vor Computern und all das, was keine Widerspiegelung, keine Illusion, kein Fernsehen wäre, hätten wir als ungültig bezeichnet.

Edward Dwurnik

Ich bin der Meinung, dass man immer weniger an das Dasein der Welt glaubt. Das betrifft auch Künstler, die zu Geiseln der vom Computer generierten Bilder wurden. Sie wurden zu Dienern der künstlichen und sich selbst klonenden Welten. Deswegen kann ich mich des Zaubers von Dwurniks Werken aus den sechziger Jahren nicht erwehren. Es sind Zeichnungen mit kleinen Ansichten polnischer Städte und Orte und Aquarelle, die, wie man so sagt, menschlich gealtert sind. Ganz einfach zusammen mit dem Papier, auf dem sie gemalt wurden.

Vor mir der blasse Computerbildschirm. Der Fernseher, ein Passierschein zur modernen Erlösung, im Zimmer nebenan. Eine neue Ewigkeit, eine neue Unsterblichkeit. Auf dem Nachttisch, wo früher Schmerz- und Halstabletten lagen, ist jetzt die Fernbedienung, einsatzbereit. Auf dem Stuhl lädt das Handy. Wenn es klingelt, renne ich sofort in die Redaktion, um die Un-Realität der Zeitungen zu produzieren, gegen die wir die Welt austauschten und für die wir eine Menge unschuldiger Bäume geopfert haben.

Edward DwurnikEdward Dwurnik

Eine echte Kiefer wirkt weniger echt als die unwirkliche, das von Anfang bis Ende ausgedachte Covermodell. Wir haben die ganze Welt zu einem Text, einer Information bearbeitet. Und was haben wir davon? Scheinbares Sehen, scheinbare Bilder. Es sind nur noch Maler, die schauen, sehen und an das reale Dasein der Welt glauben. Wie Nikifor und Dwurnik. Nur sie können uns noch retten.

Vor ungefähr einem Monat sah ich im Bus 106, dessen erste Haltestelle in der Nähe der Galerie hinter dem Kino Kultura ist, ein Mädchen. Den Blick auf den kleinen Bildschirm geheftet, in der Pose eines Trampolinspringers, hielt es in seinen Händen ein hellblaues Handy und drückte auf die Knöpfe mit der gleichen Andacht, wie ihre Urgroßmutter wahrscheinlich die Kügelchen an ihrem Rosenkranz drehte. Kleines Detail: die hellblauen Fingernägel, passend zur Handyhülle.

Edward DwurnikEdward Dwurnik

Während ich am Karfreitag 2001 am Marktplatz in Łowicz auf meine Frau wartete, sah ich einen jungen Mann mit Kopfhörern und dunkler Sonnenbrille. Für wen hielt er sich? Einen Helden aus „Matrix“ oder den ewigen Freddie Mercury? Ich vermute, für ihn existierte Łowicz, das von Dwurnik so sorgfältig gezeichnet wurde, nicht mehr. Er war schon – und wir mit ihm – in der Mitte von Tomb Raider mit der künstlich schönen Lara Croft im Einsatz. Wenn er nach Hause kommt – vielleicht in eine dieser schönen Altbauwohnungen mit Fenstern zum Markt – taucht er in einen kristallflüssigen Schirm ein, wie in das modernste Paradies. Der Markt verschwindet.

Es wird kein Łowicz geben, kein Warschau, keinen holprigen Bürgersteig und keine Pflastersteinstraßen, die plötzlich unter dem froschähnlichen Körper der Kathedrale enden. Die Kathedrale, plump in ihrer Form, zeigt immerhin weit über das Gesichtsfeld hinaus.

Es wird alles zerfallen. Der Platz vor der Kirche wird von Urgewässern des Chaos überflutet. Die Zeit vor der Schöpfung, Zeit des Elends. Wenn du keinen Himmel siehst, dann bist du in der Hölle. Im Kerker des Bildschirms, den du dir selbst zu verdanken hast.

Das ist die Freiheit des ewigen Geistes: perfekt austauschbare Körper. Lara Croft schießt einen Kerl an. Nachdem wir den Zähler wieder auf null stellen, lebt er im nächsten Spiel wieder auf und dient wiederholt als lustiges Kanonenfutter. Der Verstand hat den Körper, der ihn umhüllt, vergessen. In Wirklichkeit aber stirbt der Körper.

Statt Auge Gottes zu sein, haben wir versucht, Gott zu ersetzen. Wir haben Elektronen in Schwung gesetzt, damit sie Bilder erzeugen können, und somit sind wir unsterblich geworden. Wir haben alles von Anfang an erschaffen, uns zum Bilde. Noch ein weiterer Versuch, dem Tod, den es wirklich gibt, zu entkommen, obwohl der Verstand das Gegenteil behauptet.

Bei Dwurnik ist das anders. Er hat versucht zu sehen, was es gibt: eine Welt, die wir uns abgewöhnt haben. Per Anhalter in Złoty Stok, Tereska bei Kwiek. Der Fitnessraum in der Kaserne in Kołobrzeg. Eine graue, repressive Realität, einfach gesehen und beschrieben. Eine bewundernswerte Bescheidenheit, eine fast vergessene Meisterleistung: eine Verlängerung dessen zu sein, was es wirklich gibt. Was nicht von uns ausgedacht wurde. Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass die wahre Berufung eines Künstlers darin besteht, das Auge Gottes zu ersetzen, wenn er abwesend ist. Während Gott sich versteckt, muss der Künstler die Welt von ihrer Existenz überzeugen. Deshalb sage ich noch einmal: Dwurniks Zeichnungen gefallen mir. Mir liegt diese Leidenschaft: das Wandern von einer Stadt zur anderen, die Stunden, verbracht mit einem Blatt Papier, die fast meditative Wiederholung derselben Gesten. Sie ist schön, diese Gleichgültigkeit gegenüber Stoff und Thema, ohne Berechnung und Attitüde. Wenn die Hand müde wird und einschläft, wird sie von dem gewissen Etwas geführt, das größer ist als wir, das seine eigene Präsenz bezeugt. Es bleibt nur noch das reine Sehen, ohne zu benennen, ohne zu erwarten, ohne Angst und Hoffnung. Um Miłosz zu paraphrasieren: Es bleibt der Grenzpunkt zwischen dem Maler und dem, was ihn überragt. Was ist. Der große Nikifor, Dwurniks Meister, war so ein Gottestier, reiner Instinkt, die pure Lust am Sehen und Malen. Man könnte einwenden, in Dwurniks Aquarellen gebe es doch die unnötige Benennung, es gebe Transparente und die politische und ökonomische Teufelei. Die Farben seien grau wie Rauch. Das sei doch die verseuchte, nicht göttliche Welt, die jahrelang Dwurniks Hauptthema war. Damals hätten wir diese Welt als totalitär bezeichnet, da wir nicht wussten, dass jegliche Realität verseucht ist. Es kam doch die Freiheit, und? Hat sie etwas verändert? Der Markt in Łowicz existiert wirklich. Und die heitere Pfarre in Klimontów auch.

Das Böse. Was soll ein Maler mit einer Realität anfangen – sei es eine politische, ökonomische, egal welche –, die unabhängig vom System die Hölle ist? Die vergiftete Realität bewegte und bewegt Dwurnik immer noch. Sie betrifft ihn vielmehr als Nikifor. Dwurnik funktioniert seit Jahren im Zentrum, was nicht hilfreich ist. Er ist kein Gottessimpelchen, kein heiliger Idiot. Wenn die Verdorbenheit da ist, darf man wegschauen? Kann man mit reinen Tönen und Harmonie zufrieden sein? Gibt es einen anderen Weg, als diese Verdorbenheit zu sehen und zu malen?

Ich denke, die Quelle des Bildes muss rein sein. Bei Dwurnik ist es genauso. Obwohl seine grotesken Soldaten (sind sie aus Blei oder schon aus Plastik?) das ganze Weltgrauen ausstrahlen, sind sie zugleich so heiter und kindisch naiv, dass man sofort mit ihnen spielen will. Und man merkt, Dwurnik spielt auch, wie ein Kind. Ein Maler-Kind, ist das nicht ein Kompliment?

Wir sehen die außergewöhnlich bunte Farbmischung des Gefängnisses. Es sind Farben der Angst und des Wahnsinns, aber sie strahlen auch ein Gefühl ursprünglichen Glücks aus, oder? Eine irrationale Lust am Malen, wie bei van Gogh?

Dwurniks Seele bleibt der Peripherie und dem Malen treu. Das soll auch so bleiben. Allen Zeichen zum Trotz, die das Ende der Welt verkünden, glaube ich nämlich, dass dem Sehen die Zukunft gehört. Dem Sehen der Welt und nicht ihrer Widerspiegelung in unendlich vielen Bildschirmen.



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