Im Schatten des Südens

Bogusław Deptuła Von Bogusław Deptuła

Der Süden zieht an. Vor allem die Bewohner des Nordens. Einfaches Leben, nah an der gütigen Natur. Offenheit und Spontaneität der Menschen, leichtere Küche. Besserer Kaffee und Wein. Dazu kommt noch diese herrlich schöne Landschaft, ein dankbares Motiv, seit Jahrzehnten bewährt. Sanfte Hügel, mit Schlössern geschmückt. Kurvige, auf Gipfel führende Wege und spindelförmige Zypressen, die den blauen Himmel durchschneiden. Wir kennen das seit langem und kennen es gut. Kann man davon genug haben?

Als Katarzyna Jedrysik-Castellini die Warschauer Kunstakademie absolvierte, bereitete sie eine Diplomarbeit unter dem Titel Porträt einer italienischen Kleinstadt vor. Damals lebte sie in Conegliano, einem kleinen Ort im Veneto, nahe Venedig. Für Kunsthistoriker klingt dieser Name äußerst melodisch, da sie sofort an die Werke des genialen Malers Cima da Conegliano denken müssen. Er lebte um die Wende vom fünfzehnten zum sechzehnten Jahrhundert. Zu Lebzeiten sehr bekannt und erfolgreich, geriet er nach seinem Tode in Vergessenheit. Obwohl sich viele seiner Werke in venezianischen Kirchen befanden, sucht man vergeblich nach seinem Namen in Giorgio Vasaris „Leben“. Katarzyna Jedrysik-Castellini besuchte sein Haus in Conegliano und beschrieb es:

„,Casa Cima‘ ist eine kleine Wohnung … Von außen ist sie unscheinbar mit einem einfachen Eingang, darüber einfache Fenster. Die Wände drinnen sind leer. In der Ecke links hinter dem Eingang sitzt am Tisch eine Frau, die Besucher hereinlässt. Zum ersten Stock führt eine alte Holztreppe. Zu ihrer linken Seite sieht man mit Kohle gemalte Aufzeichnungen, das einzige Werk Cimas in diesem Haus. Ansonsten sind die Wände leer. Sie werden gelegentlich mit einer Ausstellung oder einem Abdruck eines der Werke gefüllt. Das Fenster geht zu einem verwunschenen und ungepflegten Garten hinaus. Stille, Ruhe und Leere.“

Katarzyna Castellini

Stille, Ruhe und Leere finden wir auch in Castellinis Bildern. Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob es sich um einen Zufall oder um eine bewusste Verwandtschaft handelt. Ich glaube, dass die junge Malerin sehr vom Inneren des Hauses beeindruckt war. Wenn wir das 2002 entstandene Bild „Weißer Krug auf weißem Hintergrund“ betrachten, können wir uns vorstellen, dass die Künstlerin es in „Casa Cima“ gesehen hat. Wenn das nicht der Fall ist, so ist es auch egal, denn es stimmt mit der Atmosphäre überein, die durch Stille, Ruhe und Leere beschrieben wird. Genau dasselbe passiert auf zwei anderen, in weißen und grauen Tönen gemalten Bildern: „Il chiostro“ (2002) und „Sitzende Figur mit Rücken zum Licht“ (2003). In beiden fühlt man stark die südliche Sonne, die gnadenlos Farben ausbleicht und uns blendet.

Katarzyna Castellini

Obwohl Castellini in Italien wohnt und für die Andersartigkeit und Volkskultur des Landes empfänglich ist, sucht sie ständig nach neuen Orten der Inspiration. Ihre Reise nach Griechenland war sehr fruchtbar. Einige der dort gemalten Bilder zeichnen sich durch ihre kräftige Aussage aus. Es handelt sich wahrscheinlich um Szenen und Situationen, die Castellini selbst sah, vielleicht auch fotografierte. Nach einer gewissen Zeit wurden sie zur Inspiration ihrer Bilder. Sie wurden künstlerisch gefiltert. Es verschwanden Details und Kleinigkeiten, so dann nur das Wesentliche blieb. Weiße Wände als Hintergrund. Darauf, wie geschnitzt, menschliche Gestalten: eine ältere Dame auf einem Stuhl, eine andere vor ihrem Haus, zwei Frauen mit Hund auf einer Treppe, eine Gruppe Greise auf einer Straße. Die Bilder sind wie ein Schnappschuss, der sich nur für das Wesentliche interessiert und Überflüssiges ablehnt. Die Zusammenstellung der dunklen Figuren und ihrer Schatten mit dem hellen Hintergrund bestimmt die Dramatik der Bilder. Bilder, die in den Augen der Künstlerin entstanden, und ihre bildnerische Verwirklichung. Stille, Ruhe und Leere. Auch wenn die Bilder menschliche Gestalten zeigen, werden Stille und Ruhe nicht gestört. Und das ist gut so. Wir haben es hier mit anderen Zeitmaßen zu tun, mit anderen menschlichen Verhältnissen und anderen Begegnungen. Die Dinge geschehen auf ihre Art und Weise. In dieser seit Jahrzehnten geordneten Welt sind wir nur zufällige Gäste. Wir schauen für einen Moment vorbei, atmen die salzige und warme Luft ein und wandern weiter, um andere, weit von unserer Heimat entfernte Orte zu entdecken. Wir sind ewige Pilger auf der Reise ins Land der künstlerischen Verzauberung, wo wir uns inspirieren lassen können, um unsere Weltsicht zu bereichern.

Katarzyna Castellini

Castellini malt reine Monumentalwerke, obwohl ihre Formate meist klein sind. Man hat den Eindruck, dass sie genauso gut – wenn nicht besser – in großen Formaten aussähen. Die Künstlerin knüpft bewusst an ihre Vorbilder an, die alten italienischen Meister, die sich eben mit Hilfe kleinerer Formate ausdrückten. Die Architektur in Castellinis Bildern – der Rhythmus der Arkaden, die Hausfassaden, Treppen, Säulen und bunten Platten des Fußbodens – zeugt von musterhaften Kenntnissen der alten Kunst. Die Künstlerin setzt ihr individuelles Zeichen durch Ironie, indem sie ihren Gestalten ein leicht groteskes Aussehen verleiht. Das Mädchen, das eine Vase auf dem Kopf trägt, ist keine südländische Schönheit. Ihre breite Nase glänzt in der Sonne. Das Bild einer großen italienischen Familie, die sich um die mamma versammelt hat, ist keineswegs objektiv. Umso kräftiger ist seine Aussage. Castellini malt oft und gerne Kinder, aber auch sie werden skurril dargestellt. Sie wirken ernst und altklug. Sie lachen nicht, sind frühreif, wirken älter. Als ob sie mit der tragischen Weisheit ausgestattet wären, die die höfischen Zwerge auf den Bildern Velázquez’ ausstrahlen. Nackte Körper sind weit vom Schönheitsideal entfernt. Es sind keine modernen Fassungen griechischer und römischer Skulpturen. Diese Körper sind übertrieben fleischig, blutvoll und knochig. Sie stehen fest auf dem Boden, sitzen schwer auf Stühlen und Treppen, ihre Brüste sinken schwer zu Boden. Castellinis Bilder sind grotesk.

Katarzyna Castellini

Die Kultur hat eine ausdrucksvolle und schrille Figur entwickelt, die gleichzeitig vollkommen doppeldeutig ist – den Harlekin. Er stammt aus der Commedia dell’Arte. Ihre endgültige und zugleich interessanteste Form entwickelte Ende des achtzehnten Jahrhunderts Carlo Goldoni. Dazu kommen noch Narren mit Mützen voller Glöckchen, die Pulcinellas mit ihren hohen, kegelförmigen Hüten, sowie gewöhnliche Clowns. Die Schar der Doppelagenten ist zahlreich, da sich die Italiener von den Mühen des Lebens mit Humor erholen. Katarzyna Jedrysik-Castellini sieht in den Harlekinen und Narren ein Symbol dieser Flucht vom Alltag. Eine Narrenmütze oder ein Harlekinkostüm mit bunten Rhomben schützen vor der allzu großen Ernsthaftigkeit der Betrachter. Es fällt leichter, den Ernst eines Narren als den eines Philosophen auszuhalten.

Katarzyna Castellini

Katarzyna Jedrysik-Castellini greift in ihren Bildern zu einem charakteristischen Mittel: Oft erscheint in ihren Werken ein überraschendes, kleines und groteskes Element, das die Wirkung der „ernst“ dargestellten Welt verändert. Ein kleiner, unförmiger Hund, ein bunter Vogel auf langen Beinen. Ein bunter Ball – vielleicht vom Harlekin verloren –, der zufällig neben einer Skulptur liegt, die Rodins „Denker“ ähnelt. All diese Fragmente demontieren die Ernsthaftigkeit der Bilder. Es gibt hier keine Zufälle, sondern eine gezielte Dualität der Situationen und Bedeutungen.

Castellini ist eine Meisterin des Stilllebens. Die Bilder ähneln sich: ein paar Früchte auf neutralem Hintergrund. Zitronen, Granatäpfel, Orangen oder Auberginen liegen scheinbar ungeordnet. Sie werfen einen leichten Schatten auf die Leinwand. Eigentlich nicht viel, aber die Intensität ihrer bildnerischen Existenz und die komplizierte Licht- und Farbstruktur zeugen von meisterlicher Technik, Beobachtungsgabe und fast bildhauerischer Fertigkeit. Wohlschmeckend sind diese Gemüse und Obst, daran zweifelt niemand. Sie könnten jeden Tisch schmücken. Auf den Bildern werden sie zu echtem trompe-l’œil. Viele haben sich schon über sie gewundert.

Die Maltradition spielt eine enorme Rolle für Katarzyna Jedrysik-Castellini. Sie schaut auf sie zurück und malt ihre eigenen, überzeitlichen Bilder. Das Dargestellte könnte genauso gut vor Jahrzehnten entstanden sein. Die mediterrane Atmosphäre, die die Bilder ausstrahlen, trägt dazu bei.



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