Freiheit für Menschen und Tiere

Stach Szabłowski Von Stach Szabłowski

Hell’s around the corner, schnarrt Tricky. Heaven is a place on earth, singt ihm Belinda Carlisle zurück. Die Lieder lügen nicht. Die Apokalypse geschieht hier und jetzt, eingeschrieben in den Text des alltäglichen Fegefeuers. Man muss natürlich zwischen den Zeilen dieses Textes lesen. Agnieszka Brzeżańska tut genau das – in ihren fotografischen Zyklen ertappt sie die Realität genau in dem Augenblick, wo sie ihre Unheimlichkeit offenbart. Um diese Momente wahrzunehmen, muss man die Augen öffnen. Vielleicht sollte man am weitesten das dritte Auge aufklappen – das des Fotoapparates.

Agnieszka BrzeżańskaAgnieszka Brzeżańska

Eine rasende Straßenbahn mit Schweinekopf, eine kopflose weiße Dame, ein schwarzer Bräutigam. Ein verbrannter Mülleimer, beklebt, wie durch einen Schleier, mit einer geschmolzenen Plastiktüte. Ein Baum, den ein Metallzaun verschlingt, ein Blutfleck, ein Loch in der Erde. Umgekippte Zwerge, die mit dem Gesicht zum Boden liegen. Gefangen in einem Metallkäfig. Ein Mensch, begraben bis zum Kopf in Erde, schreit nachts in der Stadt. Das alles hat stattgefunden – Agnieszka drückte nur den Abzug.

Agnieszka BrzeżańskaAgnieszka Brzeżańska

Ghost in the shell. Kybernetiker behaupten, dass in extrem komplizierten elektronischen Systemen ein unvorhersehbarer, zufälliger Faktor auftreten kann, ein Nebeneffekt der Anhäufung von Prozessen und Informationen, der die Gestalt des Bewusstseins annehmen kann. Des Geistes in der Maschine. Entsteht spontan so Geist im System, das wir als Realität bezeichnen? Agnieszka Brzeżańska beobachtet die unkontrollierten Phänomene, die am Rande des Systems entstehen. In der heutigen Landschaft überlagern sich menschliche Erzeugnisse mit den Werken der Natur. Künstliche Gegenstände vermischen sich mit natürlichen. Werbebilder werden mit realem Raum konfrontiert. Jede Ecke der Realität wird von ihrer Nachbildung kommentiert, von den allgegenwärtigen Texten, Meldungen, Informationen. Dazu kommen die spontane Entropie der physischen Welt und Prozesse des Verbrauchs, Zerfall und Vergessenheit, die alle Strukturen verformen, sodass uns die Dinge etwas anderes erzählen, als sie ursprünglich sollten.

Agnieszka BrzeżańskaAgnieszka Brzeżańska

Aus dem Chaos entstehen vorher nicht artikulierte Bedeutungen – sie drücken sich selbst aus. Agnieszka nimmt diese spontanen Momente der Selbstartikulation auf. Es verwischt der Unterschied zwischen Wahrheit und Unwahrheit, Künstlichkeit und Natürlichkeit, zwischen Darstellung und Vorstellung, Geplantem und Zufälligem, alle Ordnungen treffen sich auf einer Ebene.

Agnieszkas Bilder zeigen kleine Wunderoffenbarungen und Augenblicke, in denen die Realität ihr diabolisches Gesicht zeigt. Es sind kleine Risse in der Schale der Banalität des Alltags, durch die eine anarchische, totale Vielfalt von Parallelbedeutungen durchsickert. Eine schauderhafte Freiheit für Menschen und Tiere – und für alles andere.



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